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„Alles, was sich die Atomindustrie wünscht“

■ 264 BürgerInnen stellen Strafanzeige gegen Karlsruher WAK / Grüne: „Karlsruher Atomanlagen ein Supermarkt für Atombombenbauer“ / „Waffenfähiges Plutonium von reinster Qualität“ / Militärisch brisante Atomtechnologie soll an Brasilien weitergeleitet werden

Aus Karlsruhe Felix Kurz

Insgesamt 264 BürgerInnen haben jetzt eine Strafanzeige gegen die Betreiber der Karlsruher Wiederaufbereitungsanlage(WAK) unterzeichnet. Der Grund: Die WAK löse ungenehmigterweise auch bei Nordwind Brennelemente auf. Nach den gültigen Genehmigungen dürfe die Anlage bei Nordwind nicht betrieben werden, weil dann das freigesetzte Edelgas Krypton 85 in Richtung des benachbarten Kernforschungszentrum Karlsruhe (KfK) ziehe. Die Folge: Die Meßinstrumente des KfK spielen verrückt, so der Sprecher des Aktionskreises gegen das Kernforschungszentrum, Hans Blöchle. Ein solcher Fall ereignete sich z.B. am 19.5.86. Bekannt wurde die Angelegenheit, weil das KfK bei der WAK brieflich monierte, daß die Meßinstrumente ihren normalen Dienst verweigerten und dadurch damals den Alarm auslösten. Für die Unterzeichner der Strafanzeige ist allerdings auch der Betrieb bei anderen Winden unzulässig. Permanent bläst die WAK das radioaktive Krypton 85 in die Luft und gefährdet damit die Anwohner. Geografisch gesehen liegen die Karlsruher Atomanlagen gar nicht in Karlsruhe, sondern auf der Gemarkung von Leopoldshafen. In diesem Karlsruher Vorort arbeiten dort nach Angaben von KfK–Sprecher, Klaus Körting, über 5.200 Beschäftigte. Was sich alles an Nuklearanlagen unweit der Stadtgrenze der badischen Metropole tummelt, ist schon erstaunlich. Für den Grünen Landtagsabgeordneten Winfried Her mann ist Karlsruhe „das einzige Zentrum, wo es alles gibt, was die Atomindustrie haben will“. Pilot– und übergangsmäßig findet sich hier eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA), betrieben von der Deutschen Gesellschaft zur Wiederaufbereitung von Kernbrennstoffen(DWK). Ausgelegt ist die Anlage auf 35 Tonnen Brennstoff pro Jahr. Eine Kleinausgabe von Kalkars Schnellen Brüter logiert ebenfalls auf dem Gelände des KfK, betrieben von einer Tochter des Badenwerks. Doch damit nicht genug. Ein „Ersatz–Gorleben“ und ein „Ersatz– Konrad“ gibt es in Leopoldshafen ebenfalls. Seit 1978 bunkert das Kernforschungszentrum in „endlagergerechter Form für die Grube Konrad“ Atomabfälle. Nach den Angaben von Klaus Körting sind so bislang rund 36.000 Fässer a 200 Liter zusammengekommen. Bei den Faßinhalten handele es sich hauptsächlich um Abfälle der Karlsruher Atomanlagen. Ein „geringer Anteil“ sei auch von Dritten, z.B. von Alkem und dem AKW Neckarwestheim angeliefert worden. All diese Auskünfte erhält man bereitwillig. Nur über die genaue Menge des auf dem Gelände der Atomanlagen gelagerten Pluto nium kann niemand genaue Auskünfte geben. Eingeräumt wurden im Zuge des Transnuklear–Skandals rund 10 Kilo Plutonium. Diese Zahl nannte der Leiter der WAK am 20.1.88. Doch die Forschungsgruppe Atomwaffenentwicklung, ein Zusammenschluß von Wissenschaftlern in Stuttgart, präsentiert eine ganz andere Rechnung. Allein der abgebrannte Kern des Schnellen Brüters KNK II von 150 kg Plutonium lagere seit 1982 auf dem Gelände des KfK. Entgegen früherer Angaben ist dieser noch nicht in das französische Marcoule abtransportiert worden. Die Franzosen gewinnen daraus Waffenplutonium für ihre Atombomben. Wesentlich wichtiger als der Brüterkern ist für den Sprecher der Forschungsgruppe, Jürgen Elsässer, der sogenannte Brütermantel. Er enthält weit über 90 Prozent des Plutonium–Isotops 239 und sei deshalb „Waffenplutonium von höchster Reinheit“. Über den Verbleib dieses Materials vermißt nicht nur Jürgen Elsässer die entsprechenden Angaben. Wichtig sei vor allem, in wessen Besitz oder Verwahrung dieses Plutonium sei. Das „Versteckspiel mit militärisch verwendbaren Spaltstoffen“ ist für die Forschungsgruppe umso bedenklicher, als sich die internationale Kontrolle der Karlsruher Anlage „erwiesenermaßen“ als „unzulänglich“ herausgestellt habe. Als Beispiel nannte Elsässer die „Falschdeklarierung“ einer Materialsendung als Uran–Probe, die mit Plutonium versetzt war. Ein weiterer „Skandal“ ist für die Forschungsgruppe, daß das KfK „militärisch brisante Atomtechnologie“ an Brasilien weiterleiten will. Der Sprecher des KfK bestätigte der taz, daß sein Unternehmen dieses Jahr das sogenannte Trenndüsenverfahren zur Urananreicherung nach Brasilien verlagern werde. Das alles geschehe jedoch mit allen dazugehörigen Genehmigungen, und zudem würden auch in Brasilien die Kontrolleure der IAEO bereitstehen und dort die Anlage überwachen. Körting räumte zwar ein, daß man das in Karlsruhe entwickelte Trenndüsen–Verfahren auf ein „Hochanreicherungsverfahren umstellen“ könne, aber das ginge nicht ohne Entdeckung.

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