: „Und was er tut, ist frohen Muts getan“
■ Das staatliche Österreich gedachte des Anschlusses an Nazi–Deutschland vor fünfzig Jahren
Noch in den Tagen zuvor hatten die Diskussionen um die Bewertung des Ereignisses hohe Wellen geschlagen: war Österreich dem übermächtigen Bruder zum Opfer oder um den Hals gefallen? Die Feier selbst bot das übliche Bild regierungsamtlicher Gedenkrituale: Mock und Vranitzky sorgten für die notwendige Ausgewogenheit, um jedem Österreicher „sein“ Gedenken zu gestatten. Aber auch vor der Hofburg blieb es ruhig: nur wenige Demonstranten konnten ihre Österreich–Müdigkeit überwinden.
„Die sollen uns doch in Ruhe lassen mit ihrem Gedenken“, meint die Fünfzigjährige. „Immer in der Vergangenheit herumrühren, was bringt denn das?“ So meint das wohl auch der österreichische Außenminister und Vizekanzler Alois Mock in seiner Rede eine Stunden später. Er formuliert es nur komplizierter. Zu einem „Staatsakt“ waren die Größen des Staates in den Zeremoniensaal der Wiener Hofburg gebeten worden. Hunderte schwarzer Anzüge drapieren sich auf unbequemen Stühlen, über einem schwarzen Kleid sitzt ein purpurnes Käppchen: das ist der Erzbischof. Das Interieur ist edel, roter Teppich nicht nur in der Mitte, Kristallüster, Marmorsäulen, wie sich das für die Hauptstadt der Donaumonarchie gehört. Als der Herr Bundespräsident den Saal betritt, müssen alle aufstehen, wenigstens diese Genugtuung, wenn er schon schweigen muß, im Gegensatz zu Bun deskanzler Franz Vranitzky, der auf der anderen Seite des roten Läufers sitzt und nachher seinem Ruf als souveräner Staatsmann wieder gerecht werden wird. Wenn Mock, der als erster reden darf, von den 95.000 Österreicherinnen und Österreichern spricht, die in den Gestapo–Gefängnissen und KZs gelandet sind, dann müssen im nächsten Satz die 247.000 gefallenen und vermißten Soldaten erwähnt werden. Und wenn er sagt, es sei dies eine Stunde des Schmerzes, weil es gilt, auch auf jene zu verweisen, die sich zu aktiven, gewollten, bewußten Handlagern nationalsozialistischer Verbrechen gemacht haben, folgt zwei Sätze weiter die moralische Belehrung: „Aber nur, wer weiß, wies sich in Diktaturen lebt, hat ein Recht, darüber moralisch heute zu richten und selbstgerecht Schuld zuzuweisen, so etwas mehr Demut am Platze wäre.“ Es braucht kei nen Waldheim, um das Grausen zu lehren. Vranitzky, von Mock musikalisch abgesetzt durch einen Marsch aus Mozarts „Zauberflöte“, spricht hingegen davon, daß das Land zu einem leichten Opfer des ideoligischen und territorialen Expansionsdrang des Naziregimes geworden ist. Die Diskussion der letzten Zeit habe Ängste geweckt. Doch diese Diskussionen seien nicht Ausdruck einer Schwäche des Staates, sondern einer „allmählichen Entwicklung hin zum selbstbewußten, selbstsicheren Büger“. Nach einer Waldheim–Rede im Fernsehen und nach den Ausführungen des Mock wirken selbst solche Selbstverständlichkeiten wie Balsam. So trostlos drinnen, so traurig ist es draußen. Auf dem Ballhausplatz haben sich einige Dutzend Protestler versammelt, das Holzpferd ist wieder da, müde Transparente fordern Waldheims Rücktritt. Abgeteilt von ihnen und von Dutzenden Fotografen umgeben, tanzen eingehakte Anarchos auf der Straße und fordern ein Ende des Machtapparates. Dabei hätte es einen machtvolle Gegen–Staatsakt geben sollen, mit Reden und einer Menschenkette, der Ballhaus– und der Heldenplatz hätten sich füllen sollen. Doch auf dem Heldenplatz üben japanische Touristen Amateurfotografie, langweilen sich Dutzende Polizisten in bereitstehenden Mannschaftswagen. Man sei fest entschlossen, eine Störung der Gedenkfeiern zu verhindern, hatte der Wiener Polizeipräsident vor wenigen Tagen versichert. Die Gedenkfeiern seien ihr völlig egal, hatte ein junge Frau am Schottentor gesagt, aber der Waldheim solle doch endlich zurücktreten. Für das gleiche Ziel hatten dort Wehrdienstverweigerer satirische Lieder zu Waldheim abgespielt, Passanten warteten auf die Straßenbahn und schauten kopfschüttelnd zu. „Wenn alle schweigen, reden wir“, hatte ei ner der Jungen plötzlich gerufen, die taz–Berichterstatterin war daraufhin aus der Passage ans Tageslicht geeilt, um der offiziell angekündigten Gedenkminute beizuwohnen. Ist es ein würdiges Ereignis, wenn Straßenpassanten wie Salzsäulen stehen und steif in die Luft starren? Ist es erhebend, wenn der Verkehr ruht, obwohl die Ampeln auf grün stehen? Am Wiener Schottentor wirkte es wie eine Szene aus einem Science–Fic tion–Film. Doch in der restlichen Stadt, war zu hören, keine Sciene Fiction, der Verkehr rollte weiter, ohne Rücksicht auf Gedenken, nur am Parlament soll es zu Streit gekommen sein über die Frage: hat das Gedenken Vorfahrt? Die großen Staatsfeiern gehen ihrem Ende zu, eine Gedenktafel wird enthüllt, auf der auch Austrofaschisten Platz gefunden haben. Der „tote Soldat“ im Wiener Heldendenkmal, am frühen Morgen noch Ziel einer hochoffiziellen Ehrung, ruhte am Mittag bereits wieder alleine. Der Eingang ist verschlossen. Ein Zettel hängt daran: „Bin in der Stiftskaserne. Mittagessen“, steht darauf. Durch die Glastüre sehe ich ihn liegen. Mit seinem Körper schützt er das Hakenkreuz, das sein Schöpfer 1934 in den Sockel einließ. Neben ihm liegen die Kränze der Bundesregierung und des Bundespräsidenten. Gedenken.
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