: Von der Entspannung zum Reformdialog
■ Die Spannung zwischen SPD–Ostpolitik und Menschenrechten war erstmals Thema einer Diskussion zwischen SPD, osteuropäidschen Friedensräten und Oppositionellen
Aus Bonn Max Thomas Mehr
Wie kann nach der zum neuen politischen Begriff geronnenen „ersten Phase der Entspannungspolitik“ ein Reformdialog zwischen Ost und West aussehen? Der Bau eines gemeinsamen europäischen Hauses, wie Gorbatschow es immer wieder beschwört, wie muß es aussehen, wer soll es planen? Nur die Regierungen? Oder auch die Gesellschaften, die „civil society“? Die SPD, genauer die ihr nahestehende Friedrich–Ebert–Stiftung, hatte am vergangenen Wochenende erstmals nicht nur „Offizielle“ aus Osteuropa, sondern auch die „Unabhängigen“, die Demokratische Opposition, zu einem Internationalen Seminar über die „Dialektik von Entspannung und individuellen wie kollektiven Menschenrechten in der zweiten Phase der Entspannungspolitik“ eingeladen. Eine Einladung, auch wenn sie von der SPD ausgesprochen wird, ist noch lange kein Visum - vor allem nicht für die Vertreter der osteuropäischen Opposition: Kommen durfte statt ihres Mannes Maria Hajek aus der CSSR, Miklos Haraszti aus Ungarn, dazuzuzählen ist sicherlich auch Bärbel Bohley aus Ost–Berlin, die in der Folge der Januar–Ereignisse mit Zwangsvisum und hoffentlich tatsächlich nur ein halbes Jahr im Westen weilen muß. Gekommen waren aus Osteuropa vor allem aber die „Offiziellen“, hauptsächlich von den „Friedenskomitees“ aus der CSSR, Polen, Ungarn. Aus der DDR Professor Uwe Jens Heuer von der Akademie der Wissenschaften, aus Ungarn darüber hinaus noch ein Direktor des Insti tuts für außenpolitische Angelegenheiten. Die Tagung war, wie Haraszti es formulierte, ein „Durchbruch im physischen, nicht im spirituellen Sinne“: „Ich war da, und Sie waren auch da.“ Ein Anfang, mehr nicht. Denn immer wieder mußten er, aber auch der holländische Sekretär des Innerkirchlichen Friedensrates (IKV), Mient Jan Faber, Mary Kaldor vom END ( European Nuclear Disarmamend) und Elisabeth Weber von den Grünen erklären, daß Demokratisierung in Osteuropa keinesfalls die Entspannung in ihr Gegenteil verkehrt, sondern stabilisierender Faktor sei, trotz 1956, 68 und 80. Erklären mußten sie dies nicht nur den „Offiziellen“ aus Ungarn, Polen, der DDR, sondern auch der SPD und Mike Gapes von der britischen Labour Party. Eine keinesfalls verwunderliche Schräglage in der Diskussion, die im Nachhinein erst richtig bedrohlich wurde: Am Tag nach seiner Rückreise nämlich wurde Haraszti in Budapest verhaftet, vorübergehend wird vermutet, hoffentlich. SPD in Schräglage Aber es gab viele Schräglagen an diesem Wochenende, und es wäre nicht fair, die SPD–Diskutanten dabei in einen Topf zu werfen. Im Gegenteil: Horst Ehmkes Einführungsreferat umriß sehr präzise das Dilemma der SPD am Ende der ersten Phase der Entspannungspolitik: Vorgeworfen werde der Partei, daß es ihr nicht gelungen sei, Entspannung durch Abrüstung und Rüstungskontrolle auch im militärischen Bereich durchzuset zen. Außerdem habe die SPD die Frage der Menschenrechte in Osteuropa nicht offensiv aufgegriffen. Ehmke wies beide gemeinhin von Kritikern sozialdemokratischer Entspannungspolitik behaupteten Fehler zurück, „weil sich diese Frage zu Beginn ... gar nicht gestellt hat“, doch müsse heute gefragt werden, ob nicht in der 2. Phase die „civil society“, die „gesellschaftlichen Kräfte in den Entspannungsdialog einbezogen werden können“. Immerhin. Ehmke konstatierte eine „nicht aufhebbare Spannung“ zwischen den Sozialdemokraten, die die Ergebnisse ihrer Ostpolitik und „nicht den guten Willen zu verantworten haben“, und „den Wünschen großer Teile der Gesellschaften in den osteuropäischen Ländern“. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD blieb im Ton etatistisch, doch war sein Beitrag am ehesten ein Signal für ein Dialogangebot seiner Partei auch in Richtung osteuropäischer Demokratischer Opposition. Ganz anders die der Linken in der SPD zuzurechnenden Karsten Voigt und Gert Weißkirchen. Ihre Beiträge waren eher dem alten Denken, der Ostpolitik der 70er Jahre eines Egon Bahr, verpflichtet, ein Versuch, Entspannung von „oben“ in die Zukunft zu verlängern und die Demokratische Opposition nur als Objekt zu sehen, das letztlich SPD–Politik stört. Mit Engelszungen forderten sie „Selbstdisziplin“ (Voigt) oder „Geduld“ (Weißkirchen) von den Oppositionellen und mußten sich von Faber (IKV) vorhalten lassen, daß es nirgendwo so selbstdisziplinierte Menschen gibt wie in der dortigen Opposition. Wer will ihm da ernsthaft widersprechen? Die Gefahr ist groß, daß durch den Ton, mit dem westdeutsche Parteien, keinesfalls nur Sozialdemokraten, agieren, sie auch in ihren Politiken den Anschein von Krisenmanagement in Osteuropa vermitteln. Möglicherweise sogar zurecht. Realpolitik muß heute etwas Anderes sein Kein anderer hat das so deutlich und extrem formuliert und eine so andere Wahrnehmung der politischen Situation Osteuropas vermittelt wie Miklos Haraszti. Für ihn ist die „Realpolitik Brandts heute keine Ostpolitik mehr“. Mit der Stabilität der kommunistischen Satellitenstaaten sei es vorbei. Von den Sozialdemokraten wollte er wissen, was sie denn unter Wandel und Reformen verstünden. „Es kann dort kein Wandel zum Guten stattfinden... Das System ist an die Grenzen seiner Möglichkeiten geraten.“ Demokratisierung bedeute echten Pluralismus, eine Voraussetzung für Stabilität. „Reformen ohne weitreichende, ja auch notwendig selbstzerstörerische Veränderungen des Systems“ könnten keine Stabilität schaffen. Es gehe darum, politische Reformen zu garantieren. Er könne nur eine „symbolische Realpolitik“ umreißen: Dem Einparteiensystem müsse es seiner Meinung nach unmöglich gemacht werden, die ganze Gesellschaft zu vertreten. „Das Problem ist der Einparteienstaat. Da gibt es kein links und kein rechts, und ich glaube, es wäre gut, wenn wir das in Osteuropa wieder hätten.“ Nur über gegenseitige Sicherheit und nicht über den politischen Status quo zu sprechen sei keine Realpolitik mehr. Ein Schritt zur Stabilität wäre der militärische Rückzug aus Zentraleuropa, eine „neutrale Pufferzone“. Ein Truppenabzug könnte im übrigen auch „im Rahmen eines Demokratisierungs– und Neutralisierungsprozesses erfolgen“. Auch die IKV–Leute und Elisabeth Weber von den Grünen argumentierten für Truppenrückzug aus Zentraleuropa als unbedingt auf die Tagesordnung zu setzenden nächsten Schritt und für die Entstaatlichung des Ost–West– Dialogs. Vorsichtig suchend, verspannt, agierten hingegen die „Offiziellen“ aus Osteuropa. Für manchen von ihnen wird es eine Premiere gewesen sein, so konfrontativ auch mit der Opposition aus dem eigenen Lager aufeinandergeprallt zu sein. Dem Ost– Berliner Staatsrechtler Heuer war dies manchmal, vor allem wenn Haraszti redete, regelrecht anzusehen. Über Reformen dürfe nicht gesprochen werden, „ohne die ökonomische Destabilisierung einzubeziehen“. Neben den individuellen müßten auch stärker die kollektiven Menschenrechte im Zentrum der Debatte stehen. Rumänien wäre zum Beispiel nicht damit geholfen, wenn es eine offizielle Opposition gäbe, replizierte er Harasztis Thesen. Und bezog sich damit lieber auf den West– Berliner ESG–Pfarrer Ton Verkamp, der in sechs Thesen die Verschuldungsproblematik Osteuropas in den Mittelpunkt der Diskussion rücken wollte und trocken resümiert hatte, daß vor allem die südosteuropäischen Länder und Polen von ihren Gläubigerkartellen inzwischen abhängiger seien als von Moskau. Heuer legte Wert auf die Tatsache, daß es in der Vergangenheit genauso wie jetzt auch politische Veränderungen gebe, man aber nicht den Maßstab westlicher Zweiparteiensysteme an die osteuropäischen Länder anlegen solle. „Wenn wir über Reformen reden, dann sehen wir sie darin, unsere Gesellschaft zu stärken. Insofern müssen wir bestimmen, welche Reformen wir wollen.“ Man sehe durchaus das „Bürokratismusproblem“ und auch, daß die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln nicht, wie Marx es meinte, die Probleme beseitigt habe. Im übrigen würde die DDR sicher manches besser machen, „wenn wir reicher wären“. Ihn und Haraszti trennten wirklich Welten. Und daran knüpft sich die Frage, ob in der sogenannten 2. Phase der Entspannung überhaupt die Bürger– und Menschenrechte integriert werden können. Ob es sich nicht schon bei dem Begriff lediglich um eine Schimäre, eine neue Wortschöpfung handelt, die eher den Blick verstellt für möglicherweise eine ganz neue Formation aus Osteuropa? Ist sie nicht schon längst da, antiautoritär, intellektuell der SPD mit ihrer Entspannungspolitik überlegen, dabei, eine andere politische Konstellation in Europa zu schaffen: einen zentraleuropäischen Neutralismus, gestärkt - zumindest indirekt - durch Gorbatschows Reformkurs und die damit einhergehende Verunsicherung der Nomenklatura in den Satellitenstaaten. Die deutsche Sozialdemokratie ist dabei nicht weniger verunsichert. Bärbel Bohley hatte jedenfalls angesichts so manches etatistischen sozialdemokratischen Beitrags den Eindruck, sie fühle sich hier als Opfer der neuen Politik.
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