In Hessen ist die Selbstverwaltung hocheffizient

■ Totalerhebung bei 244 hessischen Alternativbetrieben / Mehr Frauen für die „Harmonie am Bau“ erwünscht / Unternehmen florieren oft auch ohne „Staatsknete“ / Die Studie, die 1985 von der damaligen rot–grünen Koalition in Auftrag gegeben wurde, erscheint im April

Aus Frankfurt Heide Platen

Auf Seite 208 ziehen die drei AutorInnen im vorletzten Satz ihr trockenes Resumee: „Insgesamt ergibt die Untersuchung, daß sv. B. (selbstverwaltete Betriebe, d. Red.) unter marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen ökonomisch durchaus existenzfähig sind.“ Über zwei Jahre lang arbeiteten Burkhard Bluem, Frank Heider und Margreth Mevissen an einer Studie, die das hessische Wirtschaftsministerium beim Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Frankfurter Universität in Auftrag gegeben hatte. Sie befragten für diese „Strukturanalyse selbstverwalteter Betriebe in Hessen“ 244 der 260 Unternehmen „ohne ChefInnen“ und erstellten damit die erste „Totalerhebung“ der Republik. „Nach dem 68. Interview“, sagt Frank Heider zum Abschluß der Arbeit, die im April im Focus–Verlag erscheinen wird, „konnte ich das Wort Selbstverwaltung nicht mehr hören.“ Spaß hat die Arbeit, die sich das Land Hessen immerhin 250.000 Mark kosten ließ, den Dreien dennoch gemacht. Sie bestätigt viele Vermutungen und stellt den alternativen UnternehmerInnen im Großen und Ganzen ein Zeugnis glänzender unternehmerischer Fähigkeiten aus. Das ursprüngliche Ziel der Studie ist allerdings jetzt hinfällig geworden: Die rot– grüne Koalition, die einst den Auftrag der Untersuchung vergeben hatte, ist schon lange nicht mehr im Amt - SPD und Grüne erfahren zu spät, welche Bedürfnisse jene Betriebe haben, die mit der „Staatsknete“ gefördert wurden oder gefördert werden sollten. Statt dessen erfährt nun der derzeit amtierende Wirtschaftsminister Alfred Schmidt (FDP), der vormals einem mittelständischen Malerbetrieb vorstand, daß sich „alternative“ UnternehmerInnen als solvente Geschäftsleute erweisen, obwohl sie von Banken und Kreditgebern eine Zeit lang mißtrauisch beäugt wurden. Sie arbeiten sogar, das ergibt die Studie, effektiver, gar „hocheffizient“, verzeichnen weniger Pleiten und investieren mehr in ihre Betriebe als vergleichbare bürgerliche Unternehmen. Dabei haben sie erhebliche Wettbewerbsnachteile zu kompensieren. Deren größter sind die hohen Zinsen, die sie für geliehenes Geld zurückzahlen müssen. Rund 50 Prozent der Betriebe bezieht das Startkapital aus Ersparnissen, den eigenen priva ten Dispositionskrediten oder denen von Freunden und Verwandten. Sie brauchen vor allem die Möglichkeit zur Umschuldung. Die Vorurteile, daß in den Alternativbetrieben Laien arbeiten, die sich selbst ausbeuten und dafür miserabel bezahlt werden, haben sich allesamt nicht bestätigt. Die ErstellerInnen der Studie übten Kritik an den Kritikern der selbstverwalteten Betriebe. Sogenannte Mangelökonomie und Selbstausbeutung über das Maß bürgerlicher Betriebe hinaus fanden sich selten. Die MitarbieterInnen sind meist doppelt– oder überqualifiziert, bilden sich überdurchschnittlich oft fort, arbeiten im Schnitt 38 Stunden in der Woche und zahlen sich ein Durchschnittsgehalt von 1.253 Mark im Monat aus. An höheren Gewinnen berei chern sich in der Regel nicht einige wenige: Kommt mehr Geld herein, vergrößert sich meist das Kollektiv, und die Arbeitsbedingungen werden durch Investitionen verbessert und erleichtert. Triebfedern der meisten selbstverwalteten Betriebe sind die politischen Intentionen der 68er Studentenbewegung. Ganz oben steht der Wunsch, ohne ChefIn zu arbeiten. In den meisten Fällen klappt das, entgegen den oft kolportierten Einzelfällen, besser als erwartet auch dann, wenn Einzelne nach außen als „Besitzer“ auftreten. 60 der befragten Betriebe gaben an, daß auch sie schon einmal MitarbeiterInnen per Kollektivbeschluß entlassen mußten. Das, sagten sie, dauere allerdings viel länger als in bürgerlichen Betrieben und sei auch schmerzhaf ter. Die Entlassungsgründe nehmen sich recht traditionell aus: Undiszipliniertheit, Unzuverlässigkeit, persönliche Differenzen und mangelnde Qualifikation gehören dazu. Konflikte werden jedoch auch oft schlicht ausgesessen. Das gemeinsame Arbeiten lasse sich besser an, wenn die KollektivistInnen einen gemeinsamen politischen Hintergrund haben. Da fallen allerdings die jüngeren Leute raus. Von den 1.873 beschäftigten Menschen - ungefähr acht pro Betrieb - waren nur 15,1 Prozent jünger als 24 Jahren. Ein Viertel der Beschäftigten ist über 35 Jahre alt. Da bestehe, meint Frank Heider, die Gefahr, daß die Alternativbetriebe irgendwann „in Rente gehen“ und von der Bildfläche verschwinden. Die personelle Umschichtung sei zwar enorm, aber dennoch seien auch bei den „ganz alten“, von 1965 bis 1975 gegründeten Betrieben noch 14 Prozent der GründerInnen dabei. Die eigene Arbeitslosigkeit sei nur selten als Gründungsmotiv für das „Mittelstandsphänomen“ Alternativbetrieb genannt worden. Als Frauenarbeitsplätze sind Alternativbetriebe ein mehr als getreuer Spiegel der Gesellschaft. Den mehr als 1.000 Männern stehen nur 828 Frauen gegenüber, von denen die meisten im Dienstleistungssektor arbeiten. In ganz Hessen gibt es keinen rein weiblichen Produktionsbetrieb - die Frauenbetriebe (von selbstverwaltetem Frauenhaus bis zur Frankfurter Frauenschule) finden sich ausschließlich im Dienstleistungssektor. 20 Frauenprojekte wollen bewußt Frauenprojekte sein - ihnen stehen 57 reine „Männerbetriebe“ gegenüber, die, so Margreth Mevissen, ein Produkt „mangelnder Reflexion und des Zufalls“ sind. 34,7 Prozent „streben die Quotierung an“. Bei Nachfragen habe sich dies aber oft als „leeres Geschwätz“ herausgestellt, meint Burkahrd Bluem. Margreth Mevissen: „Am häufigsten wird gesagt, es seien eben keine geeigneten Frauen gefunden worden.“ Die Befragten nannten vier Gründe, warum sie „eigentlich“ auch Frauen einstellen wollten. Ganz vorne rangiert bei den Männern die durch Frauen erhoffte „Verbesserung des Betriebsklimas“, in Baukollektiven zum Beispiel mehr erwartete „Harmonie am Bau“. Im realen Alltag aber werden vor allem Männer aus dem Freundes– und Bekanntenkreis bevorzugt eingestellt. Eine Rolle spielt bei den Lippenbekenntnissen auch der Zeitgeist. Frauenförderung ist „in“, die rollenspezifisch vermutete Qualifikation von Frauen und, zum Beispiel in der Altenpflege, die Erwartungen der Kundschaft. Selten, aber dennoch vertreten, war das Argument, daß Frauen manches eben nicht „können“. Vereinzelt erklärten auch Frauen, daß sie nach „einem Mann“ für ihren Betrieb suchen. 20 Prozent der Betriebe bilden aus. Auch hier ergibt sich ein trübes Bild für Frauen: In 48 Betrieben lernen zur Zeit 46 Männer und 32 Frauen. Selbstverwaltete Betriebe im Rhein–Main–Gebiet, in größeren Städten und in der Nähe von Universitäten haben größere Marktchancen. Ob sie auch ohne „Staatsknete“ überleben können? Frank Heider: „Ganz bestimmt!“