: Tumulte im britischen Unterhaus
■ Der britische Schatzkanzler stellt seinen Haushalt für die Reichen vor / Opposition empört
Aus London Rolf Paasch
„Schande, Schande“ brüllten die Labour–Abgeordneten in einem spontanen Ausbruch ihres Entsetzens, als der britische Schatzkanzler Nigel Lawson am Dienstag den Haushalt für das Fiskaljahr 1988/89 vorstellte. Nachdem Maggies Kassenwart in seiner 70minütigen Haushaltsrede die Senkung des Spitzensteuersatzes von rund 60 Prozent auf 40 Prozent verkündet hatte, brach im ehrwürdigen Unterhaus die Hölle los. Erst nach zehnminütigem Protestgeschrei konnte Lawson mit der Vorstellung seines zukünftigen Haushalts– und Steuerpolitik fortfahren. Doch selbst mit seinem Versprechen, auch den Basissteuersatz um zwei Prozentpunkte auf 25 Prozent zu senken, konnte er die Opposition nicht mehr beruhigen. Denn während ein alleinstehender Niedrigverdiener mit einem Jahreslohn von 15.000 DM demnächst 21 DM weniger Steuern im Monat zahlen muß, spart das unverheiratete Yuppie–Pärchen mit einem Jahreseinkommen von 240.000 DM gleich 1.100 DM Steuern im Monat. Mit seinem fünften Haushalt setzt Lawson die 1979 von der Regierung Thatcher begonnene Umverteilung von unten nach oben gezielt fort. Die mit einer Massenarbeitslosigkeit von über 3 Millionen Menschen erkaufte Wachstumsrate von fünf Prozent hatte dem Schatzkanzler so hohe zusätzliche Steuereinnahmen eingebracht, daß er nun Milliarden an die Besserverdienenden ausschütten und gleichzeitig den ersten Haushaltüberschuß seit 1969 erzielen kann. Obwohl in den vergangenden Wochen Hunderttausende für eine bessere Finanzierung des krisengeschüttelten staatlichen Gesundheitsdienstes auf die Straße gegangen waren, blieb da für zusätzliche Krankenbetten kein Geld mehr übrig. Wer sich dagegen privat versichern läßt, kann zusätzliche Steuervorteile in Anspruch nehmen. Das von Maggies Schatzkanzler jetzt vorgestellte Budget mit seiner radikalen Steuerreform stellt nach neun Jahren Thatcherismus die endgültige Aufkündigung des sozialen Konsens dar, daß mit dem Reichtum als Ausdruck sozialer Verantwortlichkeit auch die steuerliche Belastung ansteigen müsse. Mit der Vereinfachung des Steuersystems von bisher sechs auf nur noch zwei Steuersätze und der radikalen Senkung des Spitzensteuersatzes hat die Regierung den Briten nun eine Art Reagonomics nach Thatcher–Art verschrieben, ein Rezept, das soziale Ungleichheiten und die Spaltung der britischen Gesellschaft weiter verschärfen wird.
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