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I N T E R V I E W „Aids ist keine neue Pest“

■ Der amerikanische Aids–Forscher Robert Gallo plädiert für die realistische Einschätzung der Infektionskrankheit / „Der nächste wissenschaftliche Durchbruch könnte schon ein Impfstoff sein“ / Mit Molekül–Attrappen das Virus von den Zellen ablenken / AZT bleibt weiterhin wichtiges Medikament

taz: Aids weckt apokalyptische Visionen. Doch die düstersten Hochrechnungen scheinen sich nicht zu bestätigen. Robert Gallo: Man sollte die Krankheit nicht unterschätzen. Wir und vielleicht die nachfolgenden Generationen werden mit dem Aids–Risiko konfrontiert, wie die Menschen früher mit der Syphilis. Aber Aids ist keine neue Pest, und es bedeutet bestimmt nicht das Ende der Menschheit. Das Problem kann medizinisch gelöst werden, und ich glaube, es wird auch gelöst. Selbst wenn es nicht so schnell gelingen sollte, wird sich die epidemiologische Situation nicht so dramatisch entwickeln, wie es manchmal in den Medien ausgemalt wird. In den Medien werden häufig Konsequenzen gefordert, die die Bewegungsfreiheit der Infizierten einschränken. Das finde ich lächerlich. Denn das Virus verbreitet sich nicht zufällig. Der Infektionsweg ist auf Blutübertragung und Sexualkontakte begrenzt. Hierzulande werden auch Zwangstests und ein Screening der gesamten Bevölkerung diskutiert. Mit Zwangstests würde nur Schaden angerichtet. Sie provozieren den Widerstand der Bevölkerung und belasten die gesamte Gesellschaft. Man würde vielleicht jene Gruppen, die hauptsächlich betroffen sind, gar nicht erfassen können, weil sie möglichweise alles tun würden, um solchen Zwangstests zu entgehen. Und was sollte eine Testung der gesamten Bevölkerung denn bringen? Was heute gestimmt hat, stimmt im nächsten Monat schon nicht mehr. Wie oft wollen sie zwangstesten. Jedes Jahr, jeden Monat, jede Woche? Natürlich brauchen wir mehr Daten, aber ich bete zu Gott, daß wir nicht soweit kommen, zwangsweise Blut abzunehmen. Man kennt die Übertragungswege des Virus. Ist damit die Ausbreitung der Krankheit zu stoppen? Nein, wir brauchen einen Impfstoff, und wir brauchen natürlich die Überprüfung aller Blutkonserven. Wir brauchen auch eine vernünftige aufklärerische Berichterstattung in der Presse. Und wir brauchen vor allem das Vertrauen und die Kooperation zwischen Ärzten und Risikogruppen. Sie waren anfangs zuversichtlich, was die Entdeckung eines Impfstoffs angeht. Ist diese Zuversicht geblieben? Wir haben viel erreicht. 1981 wurde Aids entdeckt, 1983 das Virus. Und schon im Frühjahr 1984 konnten wir einen Bluttest entwickeln. Nur ein Jahr später wurde bereits mit der ersten wirksamen Therapie gegen Aids begonnen. Jetzt befinden wir uns auf einem Hoch–Plateau. Der nächste große wissenschaftliche Durchbruch könnte vielleicht schon ein Impfstoff sein. Und auch in der Therapie öffnen sich Möglichkeiten. Denken Sie nur an die Kinderleukämie. Mitte der 60er Jahre war sie noch fast unheilbar, heute kann in den meisten Fällen geholfen werden. Auch bei Aids werden sich die Behandlungsmöglichkeiten verbessern lassen und das Leben der Erkrankten verlängern. Diejenigen, die behaupten, daß es umöglich sei, einen Impfstoff zu finden, haben den Wettlauf gegen das Virus zu früh aufgegeben. Aber man muß sich davor hüten, einen genauen Zeitpunkt zu nennen. Niemand weiß, ob wir den Impfstoff in drei, fünf, oder zehn Jahren finden. Denn es gibt dabei Probleme? Ja sicher, das Virus verändert, wie alle Retroviren, seine genetische Information, es verwandelt sich ständig. Das ist ein Problem. Es kann lange Zeit in der Zelle ruhen und sich einer Immunantwort entziehen. Das ist ein anderes Problem. Aber wir machen große Fortschritte in der Molekularbiologie und erhalten immer mehr Klarheit über die Funktionsweise des Virus. Bei der Verbesserung der medikamentösen Behandlung wird jetzt auch eine Therapie mit CD4–Rezeptoren diskutiert. (Das sind Molekülverbindungen auf der Oberfläche menschlicher Zellen, die dem Virus die Anheftung an die Zelle ermöglichen. Sie sollen künstlich hergestellt werden, um als eine Art Attrappe den Erreger von der Zelle abzulenken.) Wir haben das CD4–Protein in reiner Form isolieren können und hoffen, daß man es im Organismus den Viren als Konkurrenz zu den T4–Lymphozyten anbieten und so das Virus binden kann. Haftet das Virus einmal am freien CD4, ist seine Bindungsfähigkeit für die Zelle blockiert. Aber es gibt hier noch viele Probleme, da das Protein immer wieder abgebaut wird. Das heißt, Sie konzentrieren sich doch eher auf die Weiterentwicklung von Hemmstoffen wie AZT, das die Virusvermehrung verhindert? Ich denke, daß sich eine spezifischere und weniger toxische Substanz finden läßt. Aber AZT wird trotz aller Nebenwirkungen noch eine Weile ein wichtiges Medikament bleiben. Robert Gallo, der kürzlich das Robert–Koch– Institut in Berlin besuchte, stand im Anschluß an seinen Vortrag für dieses Interview zur Verfügung

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