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Politzuschlag für umgelegte Strommasten

■ Die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe im Strommasten–Prozeß deutet auf zweierlei Maß bei der Strafbemessung

Unglaublich, welches Strafmaß die Staatsanwaltschaft im sogenannten Strommasten–Prozeß fordert: zwölf Jahre für den einen und acht Jahre Jugendstrafe für den anderen. Es geht um drei Tatvorwürfe: zwei umgelegte Strommasten, einen umgelegten Oberleitungsmast der Münchener S–Bahn, der einen Zug fast zum Entgleisen brachte - für die Staatsanwaltschaft schlicht Mordversuch - und einen Anschlag auf eine Rüstungs–Computerfirma. Alles zusammen etwa vier Millionen DM Sachschaden, keine Verletzten und ein großes Fragezeichen, ob nicht die Polizei - zum Teil zumindest - die Täter während ihrer Aktionen observierte. Man muß die Strafforderung mit anderen Prozessen und Taten vergleichen und bedenken, daß die Angeklagten etwa beim S–Bahn–Schienen– Blokkieren stark alkoholisiert waren, insgesamt mindestens genausoviel Politik wie Rowdytum im Spiel war. In der Regel sind Urteile mit einer Strafzumessung von über zehn Jahren nur dann zu erwarten, wenn schwerste Verbrechen gegen das Leben vorliegen. Ein paar Beispiele: Das Landgericht (LG) Köln verurteilte einen Mann zu zehn Jahren Gefängnis, der im Zusammenhang mit einem Diebstahl eine 73jährige Frau in ihrer Wohnung erschlagen hat. Das LG Dortmund verurteilte einen Mann wegen versuchten Mordes zu zwölf Jahren Gefängnis - immerhin hatte das Opfer ein Messer im Rücken. Das LG Koblenz verurteilte einen Mann, der am Karfreitag seinen Vater erschlagen hatte, zu zehn Jahren. Bubi Scholz gar bekam lediglich drei Jahre Gefängnis dafür, daß er seine Frau im Vollrausch auf dem Klo erschossen hatte. „Politzuschläge“ sind nichts Neues, trotzdem verschieben sich die Maßstäbe. Früher waren „Zuschläge“ für die RAF vorbehalten: Bekam beispielsweise ein normaler Bankräuber sechs bis sieben Jahre, konnte einer von der RAF für dieselbe Tat immer mit zehn bis zwölf Jahren Gefängnis rechnen, heute weitet sich diese zweierlei Maß anlegende Justizpraxis offenbar auf alles aus, was auch nur den Anschein des Politischen hat. taz

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