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Die Rückkehr der Feuchtgebiete

■ Jahrhundert–Hochwasser an Donau und Rhein / Bayerische Gemeinden nach Dammbruch evakuiert

Niederachdorf, Montag früh, 10.15 Uhr: Reißende Ströme bahnen sich den Weg durch den Ort. Die Hauseingänge sind mit Sandsäcken verrammelt. Vor einer Haustür treibt verlassen ein Schlauchboot. Soeben startet ein Rettungsboot, um erneut den Versuch zu unternehmen, einen jungen Mann aus einem von sprudelnden Fluten eingeschlossenen Haus zu bergen. „Da sind viele Strudel. Weder mit dem Hubschrauber, noch mit dem Boot sind wir da bislang rangekommen“, sagt ein Beobachter. 16 Stunden nach dem Dammbruch an der Donau, bei der mehrere Ortschaften in dem niederbayerischen Landkreis Straubing– Bogen unter Wasser gesetzt und Hunderte von Menschen in die Flucht getrieben wurden, gleicht Niederachdorf einer Geisterstadt. Doch unter der Oberfläche brodelt es. Die wenigen Zurückgebliebenen verfolgen gebannt die Radioberichte. Die Lage ist nach wie vor dramatisch. An mehreren Stellen des Flußlaufes drohen weitere Dammbrüche, westlich von Straubing wird ein Damm überflutet und kesselt ganze Gemeinden ein, 850 Helfer sind fieberhaft im Einsatz. Schon werden in den Orten Aholfing, Obermotzing und Niedermotzing neue Evakuierungen vorbereitet. Mehrere hundert Menschen müssen in Sicherheit gebracht werden. Oft haben die Helfer harte Überzeugungsarbeit zu leisten, bevor die Anwohner bereit sind, ihre Häuser zu verlassen. „In Mariaposching wollten die Leute nicht einmal das Vieh abziehen lassen. Sie sagen: Wir fürchten das Wasser nicht. Da mußten wir unverrichteter Dinge wieder abziehen“, berichtet der stellvertretende Landrat von Straubing– Bogen, Franz Buchner, müde. „Ich verlaß unser Dorf erst, wenn es mir befohlen wird.“ So lauteten in der Nacht zum Montag viele Kommentare von bedrohten Bürgern. Viele hatten die Gefahr zunächst gar nicht ernst genommen. In den drei am stärksten betroffenen Ortschaften im Raum Kirchroth, die etwa 200 bis 300 Meter von der Donau entfernt sind und bis zu vier Meter unter dem derzeitigen Pegelstand von 7,03 Meter liegen, waren die Evakuierungen aber innerhalb von zwei Stunden am Sonntag abend relativ ruhig vonstatten gegangen. Nachdem der Damm nach Augenzeugenberichten „explosionsartig“ geborsten und das Wasser innerhalb kürzester Zeit in Niederachdorf hüfthoch gestiegen war, hatten die Anwohner die Häuser verrammelt und waren zu Freunden und Verwandten geflohen. Die Sammelstellen des Roten Kreuzes wurden nur vereinzelt aufgesucht. In Kirchroth richteten die Helfer eine Schlafplatzbörse ein. Zwischen den Orten lief ein Buspendelverkehr. Doch in den anderen Ortschaften herrschten Zweifel wegen der Unberechenbarkeit der Donau, die sich noch nie über einen Pegelstand von 6,71 Meter hinausgewagt hatte. „Die Leute waren relativ gelassen, weil sie ja seit Jahrhunderten mit dem Hochwasser leben. Mit so einem hohen Hochwasser haben wir jedoch nie gerechnet“, sagte Hans Voggenreiter, der Sprecher des Landratsamtes. So kommt es immer wieder zu dramatischen Szenen, die manchmal fast tragikomische Züge annehmen. In Niederachdorf kämpft sich am Montag morgen der junge Christian Hofmann in Unterhosen von seinem Haus durch die schlammigen Fluten in Sicherheit. Sein Bruder Martin bleibt zurück und wartet auf Rettung durch die Helfer. Prächtige Neubauten stehen bis zu den Fenstern im schmutzigen Donauwasser. Landwirt Heinrich Schwiesinger beobachtet gebannt die Fluten, die bereits an seine Türschwelle schwappen. Steigt der Wasserstand nur um wenige Zentimeter, wird die Donau sein Untergeschoß durchspülen. Besondere Spannung herrscht im Straubinger Stadtteil Sossau. Hier droht seit Stunden der Damm zu bersten. Panzergrenadiere der Bundeswehr warten auf Sand– und Kiesladungen, um den Damm der der Donau hintergelagerten Kößnach mit Sandsäcken abzudichten. Doch es gibt große Engpässe. „Wahrscheinlich werden die jetzt in Straubing gerade dringender gebraucht“, sagt Oberleutnant Christian Schneider unruhig. Die Soldaten rauchen schweigend, ohne den Blick vom Damm zu nehmen. Unterdessen patrouillieren Polizeistreifen durch die verlassenen Ortschaften, um Plünderungen zu verhindern. Die Hilfsbereitschaft ist zwar groß, doch die Ausnahmesituation schafft auch Mißtrauen. Ohne den Blick zu heben, hetzen in Niederachdorf die letzten Verbliebenen zu ihren Autos. Und auf die Frage, ob auch sie vor den Wassermassen fliehen müssen, schließen sie schnell das Autofenster und rasen davon. Gespenstische Bilder schon in der Nacht auf Montag. Mit Suchscheinwerfern überfliegen Hubschrauber die überschwemmten Gebiete. Zweimal werden Gruppen von jeweils vier Eingeschlossenen befreit. Probleme bereitet auch die Evakuierung und Unterbringung der Tiere. 2.000 Stück Großvieh aus den Gemeinden Pittrich und Niederachdorf müssen in Sicherheit gebracht werden. Die meisten Tiere werden in die Vieh–Versteigerungshalle und in die Rennbahn in Straubing geschafft. Mit Rundfunkdurchsagen sucht das Landratsamt weitere Stellplätze in höher gelegenen Bauerhöfen. Uta Winkhaus (ap)

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