I N T E R V I E W „Jahrhundert–Hochwasser immer häufiger“

■ Helmut Klein, Biologe beim „Bund Umwelt– und Naturschutz“, über wild gewordene Flüsse und ökologische Sünden / Erhöhte Fließgeschwindigkeit führt zu Hochwassern und Tiefstständen

taz: In wie weit ist die Hochwasserkatastrophe an Donau und Rhein hausgemacht? Helmut Klein: Das läßt sich nicht in Zahlen quantifizieren. Aber sicher ist, daß die ökologischen Sünden die Hochwasser–Katastrophe ganz wesentlich begünstigt und verstärkt haben. Konkret: Welches sind die wichtigsten Faktoren im Sündenregister? Fangen wir beim Wald an. Ein gesunder Wald hält allein im Kronenbereich etwa 30 Prozent der Niederschläge fest, die nach dem Regen allmählich verdunsten. Die Fähigkeit zur Wasseraufnahme hängt aber von der Blatt– oder Nadelmasse ab. Wenn Sie jetzt einen Meter Jahresniederschlag haben, dann kommen bei einem gesunden Wald 30 Zentimeter gar nicht am Boden an. Ist aber ein Wald zu 50 Prozent entnadelt, dann haben Sie 15 Zentimeter zusätzliche Niederschläge. Gibt es im Waldboden ähnliche Effekte? Die Waldböden werden immer dichter und damit immer weniger saugfähig. Je lichter die Baumkronen, desto mehr Sonne scheint durch. Die Sonne aktiviert wiederum die Mikro–Organismen, welche die lockere Humusschicht des Waldbodens abbauen. Mit dem Schwund des Humus, der vielfach beobachtet worden ist, wird die Aufnahmefähigkeit und Speicherfähigkeit für die Niederschläge herabgesetzt. Das Wasser fließt verstärkt oberflächlich ab. Das gab es früher nicht, das können wir heute vielfach beobachten. Natürlich wirkt sich auch der Gift–Eintrag aus. Die Krümelstruktur des Bodens geht zurück, er verschlämmt, die Schwammfunktion wird weiter reduziert. Leider gibt es dazu keine Daten, aber jeder Bodenkundler kennt diesen Effekt. Diese Verschlämmungen betreffen übrigens alle Böden. Welches sind neben dem morbiden Wald die wichtigsten Faktoren, die das Hochwasser verstärken? Die Versiegelung ist ein weiterer Faktor: Pro Tag entziehen wir etwa 140 Hektar Land der land– und forstwirtschaftlichen Nutzung. Ein wesentlicher Teil davon ist anschließend asphaltiert, von Dachplatten bedeckt usw. Das Wasser fließt also auf diesen Flächen schneller ab. Die Hochwasserspitzen kommen schneller. Dritter Punkt: Tausende von Mooren, Feuchtgebieten, Weihern, Wasserlöchern wurden im Rahmen der Produktionsschlacht der Landwirtschaft trockengelegt. Das waren aber riesige „Rückhaltebecken“. Das gilt auch für die Auen entlang der Flüsse. Diese ufernahen Gebiete, die früher regelmäßig bei Hochwasser überflutet wurden und das Wasser wie Stauseen aufhielten, wurden ruiniert, da wurden Dämme links und rechts gebaut, und das Ergebnis sehen wir jetzt. Dann wurde auch noch immer näher an die Flüsse rangebaut. Gibt es Untersuchungen, die all diese Einflüsse auf das Hochwassergeschehen belegen? Jeder Wasserwirtschaftler wird Ihnen sagen, daß die „Jahrhundert–Hochwasser“ immer häufiger kommen. Und es gibt noch ein anderes Indiz: Die Donau hatte vor wenigen Jahren den absolut niedrigsten Stand ihrer Pegel–Geschichte. Das ist typisch: Weil das Wasser heute viel zu schnell abfließt und die Speicher–Kapazitäten fehlen, bekommen wir auch absolute Tiefststände. Interview: Manfred Kriener