piwik no script img

Die gute alte Zeit in der Kanalzone ist hin

■ Die US–Gemeinde in Panama fühlt sich zunehmend verunsichert / Das Leben außerhalb der Kanalzone ist vielen von ihnen unbekannt / Die für die Jahrhundertwende geplante Übergabe des Panamakanals halten sie für einen historischen Fehler

Aus Panama Ralf Leonhard

„Wenn die Aufständischen in die Kanalzone vordringen, was passiert dann mit uns?“ Diese Frage beschäftigt den Kanal–Lotsen Norman Dixon. Er gehört zu der rund 50.000 Mitglieder großen US–Gemeinde in Panama. Im Lotsenklub der Kanalzone wird die Krise am Stammtisch bei kühlem Dosenbier und im Luftzug des Deckenventilators diskutiert. Seit der von ihrer Regierung geschürte Konflikt in Panama das Wirtschaftsleben lahmlegt, fühlen sich die US–Amerikaner verunsichert und in ihrer Freiheit beschränkt. Ende März hatten die USA bereits ihre Polizeikräfte in Panama auf 1.200 verdoppelt. Am Osterwochenende, während US–Truppen gemeinsam mit verbündeten Kleinstaaten der Karibik das große Seemanöver „Ocean Venture 88“ begannen, kamen nochmals 1.300 Soldaten „zum Schutz der US–amerikanischen Staatsbürger“ in die Kanalzone. Und am Dienstag schloß US–Sicherheitsberater Powell selbst militärische Maßnahmen nicht mehr aus, um die panamaische Armee zum Putsch gegen den von der US–Regierung gehaßten Generalstabschef Noriega anzustacheln. Im Fernsehkanal des US–Südkommandos läuft alle halbe Stunde ein Aufruf über den Bildschirm: „Achtung. Alarmplan BRAVO ist in Kraft: Haus verdunkeln, das Heim nur im Notfall verlassen.“ Die Alarmskala reicht von ALPHA über BRAVO und CHARLIE bis DELTA (höchste Alarmbereitschaft). Ganz Panama ist jetzt Feindesland. Von den rund 50.000 US–Amerikanern in Panama leben die meisten in der ehemaligen Kanalzone. 1.134 sind bei der Kanalkommission angestellt, weitere 10.000 bis 12.000 gehören der Armee an, die restlichen sind Geschäftsleute und Familienangehörige der Soldaten und Angestellten. Sie leben in der Regel Rund um die Armeebasen in Siedlungen, die sich in nichts von den Vororten in Florida oder Kalifornien unterscheiden: gepflegter Rasen vor dem schmucken Einfamilienhäuschen, Stationwagon in der Garage, Schwimmbad für Klubmitglieder am Rande der Kolonie. Viele sprechen auch nach Jahren in Panama kaum oder nur gebrochen Spanisch. Speziell für die Ehefrauen und Kinder beschränkt sich der Kontakt mit Einheimischen auf den Umgang mit dem Hausmädchen und dem Gärtner. Über die Ereignisse in Panama informiert man sich nicht in den einheimischen Zeitungen oder Fernsehnachrichten, sondern über die Radio– und TV–Station der US–Streitkräfte „Southern Command Network“. Die großen Fernsehgesellschaften berichten in 40–Sekunden–Spots über die Lage außerhalb der behüteten Kanalzone. So behütet wie in der guten alten Zeit ist die Enklave des „american way of life“ allerdings trotz aller Anstrengungen nicht mehr. Im Rahmen der Torrijos– Carter–Verträge mußten zwei Drittel der Kanalzone 1983 an Panama übergeben werden. Ein bitterer Unterton schwingt mit, wenn sich Amerikaner auf die „ehemalige“ Kanalzone beziehen. Sie wohnen nicht mehr in exterritoria lem Gebiet. Jetzt patrouillieren nicht mehr schneidige US–Boys durch die blitzsauberen Straßen, sondern dunkelhäutige Panamaer. Zwar hat keiner eine konkrete Beschwerde über das Verhalten der Polizisten, doch das Mißtrauen ist groß. Vergangene Woche wurden in Panama–Stadt zwei US–Amerikaner, die Lebensmittel verteilten, vorübergehend festgenommen und roh behandelt. Die Nationalgarde hatte sie für Agitatoren ge halten. Letzten Sonntag wurde US–Botschafter Arthur Davis mit Blaulicht bis zu seiner Residenz verfolgt. Doch sonst wird die Eskalation auf Regierungsebene nicht von Einschüchterung der Zivilbevölkerung begleitet. Die panamaische Regierung hat mehrmals beteuert, daß die Sicherheit des Kanals von den Unruhen nicht betroffen würde. Man will Reagan auf keinen Fall einen Vorwand für ein Eingreifen liefern. Der Unternehmerstreik, der bereits an Effizienz verliert, aber zehn Tage lang das Wirtschaftsleben lahmlegte, wirkte sich auch in der ehemaligen Kanalzone aus: Die Supermärkte hatten geschlossen. Unter den Familien, die die Zone nie verlassen, machte sich Hysterie breit. Eine Demonstration verzweifelter Kanalangestellter appellierte an die US–Regierung, doch endlich etwas zu unternehmen. Während das Militärpersonal seine eigenen Versorgungszentren hat, sind die zivilen Angestellten auf die panamaischen Versorgungsstrukturen angewiesen. „Ich kann doch meine Familie nicht nach Panama einkaufen schicken“, klagte ein entrüsteter Familienvater, der den Eindruck erwecken möchte, als ob außerhalb der „ehemaligen“ Kanalzone das Gesetz des Dschungels lauere. Viele US–Amerikaner sind der Meinung, daß ihre Regierung viel zu sanft mit Panama umgeht und längst hätte Ordnung schaffen sollen. Die Torrijos–Carter–Verträge, die die Übergabe des Kanals zur Jahrhundertwende vorsehen, sind für die meisten Angestellten der Kanalkommission ein historischer Fehler. Doch die Unruhen der letzten Monate, die patriotischen Parolen General Noriegas und die Drohgebärden der USA haben die Diskussion darüber wieder in Gang gebracht. Ein ehemaliger Offizier, der jetzt als Lotse arbeitet, meint, daß die Situation international unterschätzt werde: „Wenn die Schiffahrt zum Stillstand kommt - was würde die Welt dann sagen?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen