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Für Rau kommt die Stunde der Wahrheit

■ taz–Bericht über Telefongespräch zwischen Krupp–Stahl–Chef Cromme und Thyssen–Stahl–Chef Kriwet hat „wie eine Bombe eingeschlagen“ / Hektische Aktivitäten der Landesregierung / Rau wachsweich / Von Cromme Richtigstellung verlangt

Von Walter Jakobs

Rheinhausen (taz) - „Wie eine Bombe hat der taz–Bericht hier eingeschlagen. Ich gebe Johannes den guten Rat, daß der ganz schnell nach Rheinhausen kommt. Johannes kann jetzt nur noch die Flucht nach vorn antreten.“ Manfred Bruckschen, Betriebsratsvorsitzender von Krupp–Rheinhausen, telefoniert mit dem Chef vom Dienst des Düsseldorfer Landespresseamtes. Johannes Rau soll kommen, denn, so Bruckschen, „jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen“. Ein knappes Dutzend Journalisten, seit Samstagmittag im Büro des Vorsitzenden versammelt, spitzt die Ohren. Ein Nicht–Erscheinen Raus müsse dort als „Kneifen“ ausgelegt werden, erklärte er. In einer Mitteilung des Betriebsrates hieß es zu dem taz–Bericht: „Es erhärtet sich der Verdacht, daß in den Stahlkonzernen mit Abstimmung führender Politiker in Bund und Land mit Rheinhausen“ eine weitere Phase der Neuordnung der Stahlindustrie vorgenommen werde. An diesem Nachmittag meldet sich Rau, in Rheinhausen nicht. Statt dessen erscheint der Chef vom Dienst aus Düsseldorf eine Stunde später, im Koffer eine wachsweiche Erklärung (siehe Dokumentation), die bei den Journalisten ob ihrer Dürftigkeit keine Gnade findet. Da wagt sich Friedhelm Farthmann, SPD–Fraktionsvorsitzender im Landtag und am Samstag auf Urlaub in der Lüneburger Heide weilend, schon ein bißchen weiter vor. Er läßt verbreiten, daß die in der taz vom Samstag dokumentierten Äußerungen des Krupp–Chefs Gerhard Cromme über ein Gespräch mit der Landesregierung „den Gesprächsinhalt in sein Gegenteil verkehren“. Cromme hatte danach über ein Gespräch mit Vertretern der Landesregierung zu den Rheinhausener Schließungsplänen berichtet: „... und die Meinung war dort - aber so können wir es natürlich nicht bringen - ja, macht es möglichst schnell, denn dann ist das Thema gelöst usw; und der Krach ist weg“. Weder sei „wörtlich noch sinngemäß so argumentiert worden“. Gleichzeitig forderte Farthmann Cromme auf, das „richig zu stellen“. Doch Krupp–Stahl–Chef Gerhard Cromme, der sich noch am Freitag nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem Betriebsrat bei einigen Redaktionen telefonisch meldete, um die Vorstandsversion durchzudrücken, blieb am Samstag völlig still. Anfragenden Journalisten teilte Krupp–Sprecher Berg lediglich mit: „Wir äußern uns nicht zu widerrechtlich aufgenommenen Gesprächen.“ Um diese Gespräche drehte sich am Samstag in Rheinhausen alles. Schon am frühen Morgen hatten flinke Hände die taz–Seiten hundertfach kopiert und in den Zelten an den abgeriegelten Werkstoren ausgelegt, wo sich alle Belegschaftsmitglieder zu Schichtbeginn einfinden und in Listen eintragen müssen, sonst gibt es kein Geld ausgelegt. Die Produktion ruhte vollständig. Und daran wird sich mindestens bis zum Dienstag, dem Tag der Aufsichtsratssitzung, nichts ändern. Lediglich eine Notbesatzung sicherte die Anlagen, niemand durfte ohne Sonderausweis das Werksgelände betreten. Wahrscheinlich wird der Streik aber über Dienstag hinaus fortdauern. In einem Brief an alle anderen Stahlbelegschaften, der - am Samstag in hoher Auflage gedruckt - noch am Sonntag in der gesamten Bundesrepublik verteilt wurde, bittet die Krupp–Belegschaft dringend um Unterstützung. „Die Rheinhausener Belegschaft kämpft auch für Euch. Nach Rheinhausen werden andere folgen. Übrig bleiben, geht es nach dem Willen der Konzerne, nur noch Thyssen in Duisburg und Klöckner in Bremen“, heißt es da. Die anderen Stahlbelegschaften werden aufgefordert, die Situation in Belegschaftsversammlungen zu diskutieren. „Helft uns jetzt, besucht uns mit Delegationen und fallt unserem Arbeitskampf zum Beispiel nicht mit Brammenlieferungen zur Warmbreitbandstraße in Bochum in den Rücken“, fordert die kämpfende Rheinhausener Belegschaft. Die Bochumer Warmbreitbandstraße, der ökonomisch wichtigste Kern der Krupp–Stahl AG, wird schon am Montagmittag ohne Vormaterial dastehen. Zwar liegen noch 7.000 Tonnen in Rheinhausen, aber niemand verlädt sie. Es ginge auch gar nicht, denn die Schienen auf dem Werksgelände sind mit den riesigen Stahlbrammen blockiert. Während der alle paar Stunden in der traditionsreichen „Menage“ einberufenen Informationsveranstaltungen wird die IGM von einem Stahlkocher aufgefordert, eine Sammlungsaktion bundesweit zu organisieren. „Wenn 600.000 Metaller einen Stundenlohn spendeten, hätten wir schon 10 Millionen DM“, sagt einer. Allen ist klar, daß der IG– Metall–Vorstand diesen Arbeitskampf, der vor Gericht mit ziemlicher Sicherheit zum „illegalen Streik“ erklärt würde, nicht offiziell über die Streikkasse unterstützen kann. Riesige Schadensersatzforderungen von Krupp stünden dann ins Haus. Die Stimmung bei den Streikenden ist ernst, aber nicht hoffnungslos. Die taz–Veröffentlichung, so der zweite Betriebsratsvorsitzende Theo Steegmann, „wird einiges politisch in Bewegung bringen“. Mit Bedacht spricht Steegmann von den Cromme–Äußerungen nur im Konjunktiv. Wie Steegmann fordert auch der Stahlwerksabteilungsleiter Helmut Laakmann, eine „eindeutiges Bekenntnis“ aus Düsseldorf. Laakmann am Samstagabend um kurz vor 24 Uhr unter dem Applaus der Kollegen von der Nachtschicht wörtlich: „Vom Verdacht der Korrup tion kann sich die Landesregierung nur noch freisprechen, wenn sie jetzt Farbe bekennt und sich klar auf unsere Seite stellt und zwar nicht nur mit einem Bekenntnis, sondern mit Taten.“ Andernfalls, so Laakmann weiter, „geht die SPD mit uns baden“. An Entschlossenheit scheint es den Stahlkochern in dieser Stunde nicht zu mangeln. Die Drohbriefe des Vorstandes, der bei weiteren Beteiligungen am Arbeitskampf schon vor Wochen arbeitsrechtliche Maßnahmen und Schadensersatzansprüche angekündigt hatte, hängen, zu Girlanden gebunden, zu hunderten an der Decke der Krupp–Kantine, die hier nur Menage heißt. In der Nacht zum Montag wird es hier ganz leer sein. „Kommt alle, wir treffen uns Sonntagnacht um ein Uhr“, lautete am Samstagabend die Parole. „Dann fahren wir nach Düsseldorf - und zieht Euch warm an.“

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