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Der Überwachungsstaat frißt seine Kinder

■ Weil er mit den umstrittenen Sicherheitsgesetzen hart ins Gericht geht, soll ein Berliner Professor aus dem Amt gechasst werden / Sein Dienstherr und CDU–Parteikollege Kewenig wirft ihm Schädigung des Beamtentums vor

Von Vera Gaserow

Der Berliner Jurist Eggert Schwan ist mit seinen 50 Jahren wohl das, was man allgemein einen ehrenwerten Bürger nennt: Er trägt nicht nur korrekte Kleidung, sondern auch einen Doktor– und Professorentitel. Die christlich–demokratischen Partei zählt ihn seit Jahren zu ihren Mitgliedern, und die freiheitlich–demokratische Grundordnung ist ihm „heilig“. Als Autor zahlreicher verfassungsrechtlicher Publikationen hat Schwan sich über Berlin hinaus einen Namen gemacht, und seit 13 Jahren bildet er an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege angehende Polizeibeamte aus. Das gerade jedoch soll er auf Geheiß seines Dienstherrn nun nicht mehr tun dürfen. Für Innensenator Kewenig hat Parteikollege Schwan dem Ansehen der Beamtenschaft schweren Schaden zugefügt und sich eines deutschen Beamten für unwürdig erwiesen. Der Professor, so der Tenor einer 33–seitigen–Anschuldigungsschrift des Innensenats an die Disziplinarkammer des Berliner Verwaltungsgerichts, sei für den öffentlichen Dienst eine Zumutung. Zu deutsch gesagt: Der Mann muß weg. Was den ehrenwerten Professor so „unwürdig“ macht, sind seine Warnungen vor dem Überwachungsstaat und seine dezidierte Kritik an den Sicherheitsgesetzen. Wenn Eggert Schwan auf die zu sprechen kommt, dann scheut sich der CDU–Mann nicht, öffentlich Forderungen der Alternativen Liste zu stützen und wettert ohne parteipolitische Rück sichtnahme los. Am 28.Januar 1986, am Tag, als Innenminister Zimmermann gerade eine weitere Hürde zu seinem „Sicherheitsstaat“ übersprungen hatte, klang das in einem Rundfunkinterview des SFB so: „Ich meine dieses Bündel von Sicherheitsgesetzen bewirkt im Grunde nichts anderes als die Vernichtung unseres Rechtsstaates, die Überleitung der Bundesrepublik Deutschland in einen totalitären Polizei– und Überwachungsstaat.“ Um seiner Kinder willen mache er sich „große, tiefe Sorgen um diesen Staat“. Er sei sich sicher, daß das Bundesverfasssungsgericht diesen Sicherheitsgesetzen Einhalt gebieten würde. Ansonsten müßten andere juristische Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Wenn aber auch das nicht greifen sollte, dann, ja dann, so führte der Professor wörtlich aus, „haben wir erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland mit einer Situation zu tun, wo das Widerstandsrecht aus Artikel 20 Absatz 4 aktuelle Bedeutung erlangt. Danach können wir uns gegen dieses Abdriften der Bundesrepublik Deutschland in den totalitären Polizei– und Überwachungsstaat notfalls auch mit der Knarre wehren.“ Unschwer zu erraten, daß es gerade diese letzten Worte waren, die Schwans Dienstherren an den Nerv gingen. Zehn Monate nach dem Interview ließ der Berliner Innensenator dem Professor mitteilen, daß man nunmehr ein förmliches Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnet habe. Und zwei Jahre brauchte man dann bei der Innenbehörde, um die „Sünden“ des „unwürdigen“ Professors der Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts vorzulegen. Grundaussagen des 33–seitigen Papierwerks, das sich wie die Anklageschrift gegen einen Schwerkriminellen liest: Schwans Äußerungen gegen die Sicherheitsgesetze seien geeignet, das Vertrauen in das Ansehen der Beamten zu schmälern. Völlig überzogen sei diese Kritik, eine polemische Abwertung dieses Staates. Eines Mannes, der schließlich Staatsdiener in grüner Uniform ausbilden soll, unwürdig. Daher sei die Frage, so der innensenatorische Prüfauftrag an die Herren von der Disziplinarkammer, ob Professor Schwan als Hochschulprofessor noch tragbar sei. Um dieses Anliegen noch zu untermauern, zog der Innensenator einen zweiten Beweis für die Unzumutbarkeit des „unwürdigen“ Beamten aus der Trickkiste der Geschichte. Vor fünf Jahren nämlich, so die Anschuldigungsschrift, habe Schwan schon einmal gezeigt, daß es ihm als Beamten offenbar an der nötigen respektvollen Demut gegenüber den grüninformierten Staatsdienern mangele: Da hatte er doch anläßlich eines nächtlichen Bagatellunfalls einen Polizisten nach der gesetzlichen Grundlage seines Eingreifens gefragt und ihm - als der keine Antwort geben konnte - ins Gesicht gesagt, er sei wohl mit „fachlicher Blindheit“ geschlagen und habe eine schlechte Ausbildung genossen. Umgehend fühlte der Polizist sich beleidigt, und das zu recht, befand das Berliner Landgericht wenig später, das den Professor zu einer Geldstrafe verurteilte. Das alles ist zwar schon lange her und längst beglichen, aber jetzt kommt es wieder als Stein des Anstoßes auf den Tisch, der den unbotmäßigen Professor ins Stolpern bringen soll. Schwan wiederum sieht gar nicht ein, warum er irgendetwas von seiner Kritik zurücknehmen soll, denn, so meint er: „Die Wahrheit wird man in diesem Land ja wohl noch sagen dürfen.“ Statt reuiger Buße bietet erdem Innensenat an, der Vollständigkeit halber noch zahlreiche andere mündliche und schriftliche Äußerungen in das Verfahren mit einzubeziehen, die nicht minder kritisch gewesen seien als das umstrittene Rundfunkinterview. Wie die Disziplinarrichter über Beamtenwürde und Nichtwürde, Untertanengeist und freie Meinungsäußerung entscheiden werden, darauf darf man gespannt sein. Ein Termin für eine Verhandlung steht noch nicht fest. Die Humanistische Union sieht in diesem Verfahren gegen Professor Schwan ein Exempel, das just in die Debatte um die Sicherheitsgesetze hineinplatzt. Sie fordert Innensenator Kewenig auf, die Anschuldigungsschrift sofort zurückzuziehen, doch darauf wird man wohl lange vergeblich warten dürfen.

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