Sozialdaten für den Sicherheitsstaat

■ Grüne präsentieren Gutachten über die Verwendung der sozialen Versicherungsnummer in der Blümschen Gesundheitsreform: Referentenentwürfe sind verfassungswidrig / Öffentliche Anhörung verlangt

Aus Bonn Oliver Tolmein

Die vom Bundesarbeitsminister Norbert Blüm beabsichtigte Verwendung der Versicherungsnummer in den Gesetzenentwürfen zur Strukturreform im Gesundheitswesen kommt dem Bremer Informatikprofessor Wilhelm Steinmüller zufolge der Schaffung eines „sozialen Sicherheitsstaates“ gleich. In einem Rechtsgutachten, das der Datenschutzexperte im Auftrag der grünen Bundestagsfraktion erarbeitet hat, bezeichnet er die derzeit vorliegenden Referentenentwürfe als verfassungswidrig, weil sie gegen den Grundsatz der informationellen Gewaltenteilung verstoßen und die Betroffenen nicht erkennen können, unter welchen Umständen ihre Sozialdaten wohin weitergegeben und weiterverarbeitet werden. Würden die Referentenentwürfe so Gesetz, erklärte Steinmüller gestern vor der Presse, seien damit die Voraussetzungen für die Schaffung eines zentralen Krebs– und Aids–Rregisters geschaffen. Die Fraktionssprecherin der Grünen, Regula Bott, kündigte eine Kampagne gegen die Totalerhebung und die damit beabsichtigte Reglementierung der BürgerInnen an. Die beabsichtigte Ausweitung der Datenverarbeitung und Datenweitergabe im Sozialversicherungsbereich stelle eine Zuspitzung des mit der Volkszählung begonnenen Totalerfassungsprojekts dar. Daß diese Entwicklung unter Ausschluß der Öffentlichkeit vollzogen werde, sei ihre Fraktion nicht bereit hinzunehmen. Regula Bott hoffe, daß der Öffentlichkeit bewußt werde, daß die beabsichtigte Schaffung des gläsernen Patienten alle betreffe und deswegen ähnlich wie bei der Volkszählung eine breite Oppositionsbewegung zustande komme. Willi Hoss, Obmann der Grünen im für diese gesetzliche Neuregelung zuständigen Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, bekräftigte die Forderung der Grünen nach einer öffentlichen Anhörung zu diesem Thema im Ausschuß. Die SPD sei bisher nur bereit gewesen, eine nicht–öffentliche Anhörung, die am Mittwoch stattfinden wird, zu unterstützen. Willi Hoss wies auf die großen Gefahren hin, die sich aus der geplanten Speicherung des gesamten Arbeits–, Sozial– und Krankheitsverhaltens der Bevölkerung auch für die Gewerkschaften ergeben. Bisher hätten die Gewerkschaften allerdings genauso wie die Datenschutzbeauftragten geschlafen. Hier sehe er einen Ansatzpunkt für eine wirksame Oppositionsarbeit. Willi Hoss und Wilhelm Steinmüller kritisierten auch die geplante Sozialversicherungskarte, die den bisherigen Referentenentwürfen zufolge jede/r Arbeitnehmer/in ständig bei sich führen müsse. Was angeblich zur Bekämpfung der Schwarzarbeit dienen solle, sei in Wirklichkeit ein „planwirtschaftliches Bewirtschaftungsinstrument“. Es gebe dabei erschreckende Parallelen zu Erfassunsgversuchen der arbeitenden Bevölkerung durch die Nationalsozialisten, die damals aufgrund technischer Probleme nicht Realität geworden seien. Regula Bott kündigte an, ihre Fraktion werde sich mit dem gerade fertiggestellten Gutachten Steinmüllers beschäftigen und schloß auch eine Verfassungsklage gegen die Referentenentwürfe - sollten diese Gesetze werden - nicht aus.