: Die „unheimliche Herausforderung“ der Perestroika
■ Bremer Landesmitglieder–Versammlung der DKP debattierte in aller Offenheit die Fragen der politischen Strategie „Streit der Linien“ / „Völliges Versagen in den ökologischen Grundfragen“ / DKP–Präsidium sieht Erneuerung skeptisch
Aus Bremen Klaus Wollschner
„Machen wir uns nichts vor: Nach 20 Jahren ist die Lage der DKP äußerst kritisch. ... Die organisationspolitische Kraft unserer Partei ist rückläufig, unsere Zeitung ist noch nicht einmal in unserer Partei verankert. Immer mehr Mitglieder verlieren den Glauben an die Sinnhaftigkeit ihres Kampfes und ziehen sich zurück; es mehren sich die Austritte. Historischer Optimismus geht verloren.“ Diese „These 1“ haben langjährige Aktive der Bremer DKP vor den gut 400 Mitglieder vorgetragen, die sich am vergangenen Wochenende zur „Zwischenbilanz“ der Parteidiskussion versammelt hatten. Unter Ausschluß der Öffentlichkeit selbstverständlich, weil sich die Genossen ungeschminkt die Wahrheit sagen wollten. Schon im November letzten Jahres hatte der Bezirksvorstand Bremen/Niedersachsen– Nord die Probleme auf 16 eng beschriebenen Seiten zusammenge tragen, sie reichen hin bis zu „erheblichen Schwächen der Leitungsarbeit“. Warum gerade jetzt diese Selbstzweifel? Bei den Wahlen sei die Partei „erfolglos“ gewesen, sie habe kein Konzept, wie man sich „erfolgreich wehren“ könne, etwa bei Konflikten wie dem in Rheinhausen. Das Bild von der Arbeiterklasse sei immer noch „sehr traditionell“, resignative Stimmung habe sich in der Partei ausgebreitet, erklärt ein Bremer Parteisekretär. Entscheidend aber dafür, daß die Zweifel zum offenen Ausbruch kamen, ist die „unheimliche Herausforderung“, die von der Entwicklung in der SU ausgeht: Perestroika „erfreut und erschütttert“ die Mitgliedschaft. „Wir dürfen uns nichts vormachen“, erklärt die These 10 (“Wie gehts weiter?“) des zitierten Diskussionsbeitrages, „es gibt in der Partei - auch, aber nicht nur in Bremen - Streit der Linien“. Der Ansturm der Nach–68er Generation, die die Gorbatschow– Öffnung als befreiende Chance begreift und sich bisher nicht durchsetzen konnte, war in Bremen kaum zu bremsen. Da erklärte eine DKP–Zelle am Beispiel Rumänien, „daß wir uns praktisch zum Fürsprecher des dortigen Personenkults machen“. Noch schlimmer: „In der persönlichen Biographie jedes einzelnen von uns gibt es ähnliche Beispiele, wo wir die Entwicklung oder Fakten entweder verschwiegen, beschönigt oder geduldet haben.“ Ein anderes Mitglied konstatierte „unser völliges Versagen in den ökologischen Grundfragen dieser Welt“ und den „falschen Schutz unserer sozialistischen Freunde“. Frauen kritisieren mangelnde Demokratie in der Partei und einen „männlich geprägten Diskussionsstil“. Es ist in der DKP heute keine Schande mehr, offene Fragen zu formulieren: Gesucht werden reformpolitische Antworten und Konzepte, die angestrebt werden können, ohne gleich den völligen Umsturz der kapitalistischen Gesellschaftsordnung vorauszusetzen. Die DKP soll „den Militarismus abbauen“, dafür streiten, daß der „staatsmonopolistische Kapitalismus ziviler wird“ - alles in der Erwartung, daß die kapitalistische Gesellschaft fürs erste fortexistiert. Gleichzeitig wollen die Erneuerer, daß man sie mit „den vorwärtstreibenden Impulsen der kommunistischen Weltbewegung, der von Gorbatschow und der KPdSU ausgehenden Hoffnung“ identifiziert. Dem Düsseldorfer DKP–Präsidium geht die Erneuerung zu schnell. Für die traditioneller orientierten Ruhrgebiets–Genossen lassen die Hamburger wie die Bremer DKP–Leitungsorgane die Zügel zu locker. Das Präsidium hatte „mehr Verbindlichkeit, mehr spürbare Führung und eine klare Orientierung“ gefordert. Eine Parteizelle nahm sich in Bremen das Recht heraus, eine Korrektur der Auffassung der Spitzengenossen für „unbedingt erforderlich“ zu erklären: „Wir fordern das Präsidium hierzu auf.“ Es sei der „falsche Eindruck erweckt worden“, die „tiefgreifende, die ganze Partei umfassende Diskussion sei beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat.“ Eine Diskussionsrednerin des Erneuer–Flügels in Bremen beruhigte derweil die Düsseldorfer Genossen mit einer ungefragten Absage an eine Spaltung: „Wir sind entschieden für die Einheit der Partei, aber diese Einheit muß neu hergestellt werden; sie ist nicht möglich durch ein Zurück in vergangene Zeiten...“ K.W. DOKUMENTATION
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