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Sozialismus via Computer?

■ Am Wochenende beschäftigte sich in Bonn das „Forum Jugend und Technologie“ mit dem Thema, wie alternative Informationen über „mail–boxen“ schneller an Aktionsgruppen weitergegeben werden können

Aus Bonn M. Holland–Letz

24 Stunden nach Tschernobyl: Als viele Zeitungen mit Informationen noch geizten, wußten bundesdeutsche Computerfreaks schon Bescheid. Die ersten Becquerel– Werte hatten Mitarbeiter der Bayerischen Hackerpost weitergegeben. Ihre Adressaten: Betreiber von elektronischen Briefkästen, sogenannten „mail–box“–Systemen. Eines der Beispiele, an denen Joachim Graf vom Münchener „Sozialistischen Computerclub“ ge stern in Bonn erklärte, wie Basisgruppen und Bürgerinitiativen eine „mail–box“ einsetzen könnten. Der effektivere Informationsfluß in der Linken - das war eines der Themen, mit denen sich rund 200 TeilnehmerInnen des „Forums Jugend und Technologie“ beschäftigten. Zu der zweitägigen Veranstaltung hatten die Jungsozialisten ins Bonner „Erich Ollenhauer–Haus“, die Parteizentrale der SPD, eingeladen. Wau Holland, „Alterspräsident“ des Hamburger „Chaos Computer Club“, erläuterte, wie Informationsmonopole politische Macht schaffen. Wer die Weitergabe von Nachrichten beschränke, dem gehe es darum, „Menschen politisch beherrschbar zu machen“, sagte Holland. Denn „die Freigabe von Informationen kippt Hierarchien“. Nachrichten und Fakten zu dezentralisieren und jederzeit zugänglich zu machen, das ist die Aufgabe von „LINKS“, der „mail–box“ des „Sozialistischen Computerclubs“ (SCC). Als „Datenbank von unten“ erhält sie aktuelle Meldungen zu den Themen Antifaschismus, Frauenpolitik oder Gewerkschaften. Ein kleiner Personal–Computer, der über einen Akkustik–Koppler mit dem Telefonnetz verbunden ist - mehr bedarf es nicht, um die kostenlosen Informationen von „LINKS“ abzurufen. Per „mail–box“ könne er Nachrichten „innerhalb von zwei Minuten bundesweit verfügbar machen“, so SCC–Mitbegründer Joachim Graf. Der Nachteil: Da die BenutzerInnen der elektronischen Briefkästen - Szenejargon: „User“ - ihr Telefon dazwischenschalten müßten, schlagen die hohen Fernsprechkosten zu Buche. Der SCC will deshalb bis zum Ende dieses Jahres Zweigstellen in allen bundesdeutschen Großstädten eröffnen. „User“ zahlen künftig nur noch ein Ortsgespräch oder den einfachen Ferngesprächs–Tarif, wenn sie die „mail– box“ der Münchner anzapfen wollen. In Bonn standen allerdings nicht nur die elektronischen Briefkästen auf der Tagesordnung. Jusos und Computerfans informierten sich, wie „hardware“ und „software“ in der Jugendarbeit eingesetzt werden können. Wau Holland gab all denen Tips weiter, die alternative Programme selber schreiben möchten. Computer in der Arbeitswelt und in der Ausbildung - mit diesem Bereich hatten sich Gewerkschafter und Pädagogen bereits am Samstag beschäftigt.

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