: Auf der Suche nach einem neuen Anti–Imperialismus
■ Autonome Internationalismus–Tage in Bremen / Sind nationale Befreiungsbewegungen zum Scheitern / Selbständige Aktionen zur IWF–Tagung in West–Berlin geplant
Aus Bremen Dietmar Bartz
„Vielleicht wird ja 1988 so etwas Ähnliches wie 1968“, hoffte einer der Veranstalter in seiner Begrüßungsrede - und erntete auf den „autonomen Internationalismus– Tagen“, zu denen der AStA der Uni Bremen geladen hatte, ein Schmunzeln. Überwiegend aus Norddeutschland und Westberlin waren fast 500 Autonome, Anti– ImperialistInnen, Unorganisierte und einige nervende Mitglieder der Marxistischen Gruppe zur Debatte über den Imperialismus und die Gegenstrategien zusammengekommen - ein viertägiges Theorie–Treffen vor dem Hintergrund der IWF–Tagung im September in Berlin. „Für einen neuen Anti–Imperialismus“, stand programmatisch auf dem Transparent über dem Podium - und so war es kein Wunder, daß sofort der Konflikt mit den solcherart zu „Alten“ gemachten Anti–Imps aufbrach. Die konterten mit einem großen Plakat: „Neuer Internationalismus als Hirngespinst von Metropolen– Intellektuellen“. Das „Hirngespinst“, um das es in Bremen ging: Die Thesen der vor Jahren eingestellten sozialrevolutionären Zeitschrift Autonomie, die in der letzten Zeit nachgedruckt wurden und in der autonomen Szene weite Verbreitung - wenn auch nicht überall Verständnis - gefunden haben. Einer der wichtigsten Streitpunkte um den Anti–Imperialismus herum ist die Einschätzung der autonomen ReferentInnen, daß die Guerilla, die Befreiungsbewegungen im Trikont (Lateinamerika, Afrika, Süd– /Ostasien) zum Scheitern verurteilt sind. Erstens könnten sie das Kapital wegen des eigenen nationalen Charakters nicht schlagen, weil das Kapital transnational organisiert ist - Befreiung sei nur weltweit möglich. Zweitens verfügten die Befreiungsbewegungen über wirtschaftliche und gesellschaftliche Modernisierungsprogramme aus den sechziger Jahren, die längst gescheitert seien und die Völker der Vernutzung durch das Kapital preisgäben - die Befreiungsbewegungen selbst seien Gegenstand imperialistischer Verwertungskonzepte. Und drittens seien die revolutionären Subjekte eben nicht diejenigen, die von den neuen Regierungen und ehemaligen Guerillas die Einlösung von Wohlfahrts– Versprechungen einfordern, sondern diejenigen, die sich der Zurichtung für den Weltmarkt verweigern: die weltweite „Klasse“, die dem Krisenangriff des Kapitals ausgesetzt sei. Die setze sich überall in einer ungeheuren Vielfalt von Aktionen zur Wehr, im Trikont mit den „riots“, den Aufständen gegen die IWF–Politik in Marokko, Sambia oder Ecuador, mit Plünderungen in Brasilien und Streiks von Südkorea bis Südafrika. In den Metropolen gebe es diese „Klasse“ ebenfalls - ihre gemeinsame Widerstandslinie reiche von den Schüler– und Studenten–Streiks in Frankreich und Belgien über riots in England und Kreuzberg bis hin zu den Abwehrkämpfen der Drucker in England und der Stahlarbeiter in Rheinhausen. In Plenarsitzungen und Arbeitsgruppen wurde die Gesamttheorie anhand von Länderbeispielen und Begriffs–Definitionen erläutert. Da wurde von den autonomen SpezialistInnen massenhaft Material vorgelegt. „Viel Neues“ war der vorsichtige Standard–Kommentar. Wer kann noch die behauptete „Tuchfühlung“ zwischen den Streiks der Zuckerrohr–Arbeiter in Nordost– Brasilien und der Streikwelle in der Großregion Sao Paolo 1979 überprüfen? Waren es wirklich die wilden Streiks der Klasse, die Fabrik–und Stadtbesetzungen in den USA um 1935, die das Kapital dazu zwangen, „in die Rezession zu gehen“, weil sie einen ungeheuren Widerstand gegen die Kapitalverwertung darstellten? Das Vertrauen in die Richtigkeit der Analyse war zwingend notwendig, um wenigstens bei der Diskussion über die Konsequenzen mitreden zu können. Manche meldeten da starke Zweifel an. Werden nicht so die ganz unterschiedlichen Aufstände auf dem Papier „stromlinienförmig“ gemacht? Komme es nicht auch auf die Parolen an, unter denen die Revolten laufen? Detlef Hartmann, über Stunden von Detailwissen übersprudelnder Experte und ehedem Mitarbeiter der Autonomie: Die verschiedenen Hungeraufstände seien natürlich nicht der organisierte Ausdruck der Hoffnung auf die Weltrevolution. Es gebe jedoch eine Ebene der sozialen Konfrontation, in der die Ausgebeuteten den Ausbeutenden (politisch) unmittelbar gegenüberstehen - „selbst wenn sie nicht die richtigen Parolen haben“. Da zögerten viele, und da liegt auch der Vorwurf der „alten“ Anti–Imps begründet: Bei Rednern mit solchen Resultaten, die eingestandenermaßen keine revolutionären Subjekte seien, handle es sich um Metropolen–Intellektuelle. Wie denn das aussehen könne, wenn auf diese Art tatsächlich eine Revolution zustandekomme?, fragte ein Autonomer. Die Antwort: „Das ist nicht festgeschrieben, das macht die Klasse selbst.“ Völlig unklar blieb die Bedeutung der Frauen: Einerseits bestimmen sie weitgehend die Konstitution der Klasse, andererseits aber wird das Patriarchat dem Imperialismus als Merkmal untergeordnet. Die BesucherInnen in Bremen diskutierten diese Fragen weitgehend unter sich. Keine einzige Frage galt ökologischen Problemen. Die am häufigsten gestellte war hingegen: „Wie beziehen wir uns auf die Kämpfe der Klasse?“ Einer der Autonomie–Theoretiker auf direkte Nachfrage: „Man kann vom Ochsen nicht mehr verlangen als Rindfleisch“. Er nannte dennoch Beispiele: einen Besuch von Hafenstraßen–BewohnerInnen in Rheinhausen, die Anti–Porno– Kampagne von Emma und das Unregierbarmachen von Stadtteilen wie Kreuzberg. Ob nun zum Schluß die zahlreichen offenen Fragen beantwortet wurden, und die Stimmung doch so wurde, daß 1988 so etwas wie 1968 werde, kann der Autor dieses Artikels nicht recht beurteilen - er wurde am Samstag nachmittag, nach einem Vortrag über mögliche Unterschiede zwischen den Klassen in Brasilien und Afrika, des Raumes verwiesen. Begründung: Kontroversen wolle man nicht im Beisein der taz diskutieren. Vom Abschlußplenum am Sonntag, bei dem das Verhalten während der IWF–Tagung zur Debatte stand, wurde berichtet, daß sich ohne Debatte eine Kompromißlinie durchgesetzt habe: Weder sollen die Aktionen reformistischer Kräfte gegen den Kongreß gestört werden, noch wollen sich die Autonomen etwa an die Spitze der Demo setzen. Vielmehr sollen eigene Aktionen mit einem Höhepunkt am letzten Tag des Kongresses gemacht werden. Ohne die Illusion, die IWF–Tagung verhindern zu können, hoffen die Autonomen, daß sich die Berichterstattung der Medien auf die Protest– und Widerstandsaktionen konzentriert. Bündnisse sollen nicht eingegangen werden, um nicht Absprachen über Parolen und Aktionsformen machen zu müssen. Die nächsten Internationalismus–Tage finden Ende Juni in Berlin statt.
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