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Der grüne Monsieur Biedermann kandidiert

■ Wenig Aussichten für Frankreichs zurückhaltenden grünen Präsidentschaftskandidaten Antoine Waechter / Die französischen Grünen (“Verts“) bleiben in der Isolation / Ausstieg aus der Atomwirtschaft ist ein Tabuthema

Aus Paris Claus Tulatz

Nur der stockkonservative Figaro sieht in ihm einen getarnten „Linksradikalen“. Er selbst betont: „Ich bin sehr seriös.“ Und für die Zeitung Liberation ist Antoine Waechter, Kandidat der Grünen bei den französischen Präsidentschaftswahlen, „sehr konformistisch“. Sicher ist, daß den französischen Grünen, den „Verts“, nicht gerade der große Wurf gelungen ist, als sie den Diplom–Biologen als Präsidentschaftskandidaten nominierten. Sie handelten unter dem Druck ihres wertkonservativ orientierten elsässischen Parteiverbandes, der auf politische Eigenständigkeit der „Verts“ bedacht ist. „Er wirkt ein bißchen steif, aber seine Kandidatur hilft, von unserem folkloristischen Image der Aussteiger und Ziegenzüchter wegzukommen“, sagen seine Anhänger. Seine Kritiker sehen das anders. Für sie haben die Grünen „aus Angst vor „Rot“ mit der Nominierung Waechters „Farblos“ vorgezogen. Mehr Biedermann als Brandstifter, hat der 39jährige Waechter noch ein anderes Handi darauf, erst einmal ihren Kandidaten bekannt zu machen. Immerhin ist es Waechter gelungen, die erforderlichen 500 Bürgschaften gewählter Volksvertreter zusammenzubekommen. Damit wurde er offiziell zum Wahlkampf zugelassen und erhielt die allen Kandidaten zustehenden Sendezeiten in Funk und Fernsehen. Waechter hat vor, fünf Prozent der Wählerstimmen zu gewinnen. Dennoch bleibt er in Meinungsumfragen weit unter dem Ergebnis seines Vorgängers Brice Lalonde, der 1981 beachtliche 3,87 Prozent auf sich vereinigte, bevor er der Bewegung den Rücken kehrte und sich der bürgerlichen Mitte zuwandte. Die Isolation der französischen Grünen ist nicht nur auf Desinteresse der Öffentlichkeit und Repressionen im Nachfeld der Anti– AKW–Demonstrationen Ende de siebziger Jahre zurückzuführen. Eine Meinungsumfrage der Zeitung Le Monde ergab, daß die Befragten nach dem Mai 68 und der Eroberung des Mondes die Katastrophe von Tschernobyl für das wichtigste Ereignis der letzten 20 Jahre hielten. Dennoch finde eine öffentliche Diskussion über ökologische Themen nicht statt, denn in einem Land, das über 75 Prozent seiner Stromerzeugung aus Atomkraftwerken bezieht, gehört viel Mut dazu, den als „unrealistisch“ erscheinenden Ausstieg aus der Atomkraft zu fordern. Auch der brav wirkende Waechter hält sich daran, Tabuthemen nicht direkt anzusprechen. Seine Argumentation klingt verharmlosend. „Die Ökologie“, sagt er, „ist eine einfache Sache. Sie ist die Feststellung, daß wir mit allen Lebewesen und allen Völkern dieses grün–blauen Planeten solidarisch sind.“ Seine Zurückhaltung bei inhaltlichen Aussagen über den Ausstieg aus der Atomkraft oder die Abschaffung der französischen Atomwaffen begründet er damit, eine grüne Bewegung könne nicht auf Angst und Katastrophen aufgebaut werden. Doch der Grüne Pierre Radane wirft ihm vor, für die Isolation der „Verts“ mitverantwortlich zu sein. „Der Drang nach Wahlerfolgen hat zur Vernachlässigung von Analyse, Information und kollektiver Aktion geführt.“ Indem Waechter die völlige Eigenständigkeit der Ökologie betone und Bündnisse mit der alternativen Linken ablehne, habe er erst die Voraussetzungen für die Kandidatur des kommunistischen Erneuerers Pierre Juquin geschaffen. Der packt die ökologischen Tabuthemen an, will eine „rot–grüne“ Bewegung aufbauen und hat - wie Radane befindet - den grünen Kandidaten Waechter an den Rand gedrängt.

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