In Bonn wirbt Soares für Investitionen

■ Während seines Staatsbesuchs verkündet Portugals Staatspräsident, die „Exzesse der revolutionären Periode“ seien vorbei / Mit Wachstumsraten, niedrigen Löhnen und der Aufweichung des Kündigungsschutzes sollen deutsche Investoren geködert werden

Von Martina Kirfel

Berlin (taz) - „In einigen Jahren wird man Portugal nicht wiedererkennen“, hatte Staatspräsident Mario Soares schon vor zwei Jahren prophezeit, als Portugal der EG beitrat. Es sieht ganz danach aus, als würde er recht behalten. Überall in den Städten werden zügig und ohne Gesamtplanung Wolkenkratzer hochgezogen. Die Eisenbahn baut Schnellstrecken mit schicken Intercity–Zügen, während gleichzeitig der Autoverkehr zunimmt. Es verschwinden die Märkte und mit ihnen die kleinen Eckläden. Selbstbedienungsläden treten an ihre Stelle. Vom neuen Wirtschaftsboom profitieren haupsächlich Portugals Mittel– und Oberschicht. Seit dem EG–Beitritt 1986 strömen teure und hochwertige Waren ins Land. Abnehmer sind unter anderen Lissabons frischgebackene „Yuppies“. Alleine im ersten Quartal 1988 wurden mehr Autos zugelassen als im ganzen ersten Halbjahr 1987 - und das, obwohl Autos in Portugal mit einer hohen Extrasteuer belegt sind. Mario Soares ist in dieser Woche in der BRD nicht zuletzt unterwegs, um für Investitionen in seinem Land zu werben. Und er hat Statistiken in seiner Aktentasche, die deutsche Investoren reizen könnten. Noch vor vier Jahren lag die Inflationsrate bei 30 Pozent, inzwischen ist sie auf neun Prozent zurückgegangen. Die erwartete Wachstumsrate lag 1987 bei fünf Prozent und ist damit die höchste innerhalb der EG. Außerdem sollen in den nächsten fünf Jahren aus EG–Töpfen 3,6 Milliarden Dollar ins Land fließen. Ausbaumöglichkeiten gibt es in der gesamten Infrastruktur des Landes, vom Fernmeldewesen bis hin zu Straßenbau und Energieversorgung. 1987 nahmen die Investitionen bereits um 20 Prozent zu. Doch Mario Soares ist noch nicht zufrieden, das Handelsdefizit beträgt immer noch 4,3 Milliarden Dollar (1987). Er vermißt vor allem das Engagement deutscher Investoren, die im Vergleich zu Briten und Japanern zurückgefallen seien. Aber nicht nur mit Wirschaftsstatistik wirbt Soares. Nach permanenten Regierungswechseln in den letzten fünfzehn Jahren gilt Portugals Regierung heute als „stabil“. Der jetzige Premier, der rechtsliberale Cavaco Silva, regiert seit zweieinhalb Jahren, länger als jeder andere vor ihm seit der „Nelken–Revolution“ im April 1974. Seit den Wahlen des letzten Sommers vefügt er mit seiner Sozialdemokratischen Partei (PSD) über die absolute Mehrheit im Parlament. Für Investoren bedeutet das Stabilität. Und um so besser, wenn mit Niedriglöhnen und geringen Umweltschutzmaßnahmen verbunden ist. Das durchschnittliche Monatseinkommen im „Armenhaus Eu– ropas“ beträgt pro Kopf der Bevölkerung 280 DM. (BRD: 1.650 DM). Seit drei Jahren stagnieren die Reallöhne, in den Jahren davor waren sie sogar gefallen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie zeigt, daß 35 Prozent der Portugiesen in „absoluter“ Armut leben. In Lissabon vegetieren zehntausende in Elendsvierteln, die sich von denen in Manila oder Mexiko–Stadt kaum mehr unterscheiden. Regierungschef Cavaco Silva begreift es als seine große Herausforderung, sein Land bis 1992 fit für die Öffnung des europäischen Binnenmarktes zu machen. Zu seinem Programm gehören nicht nur Investitionen mittels Sozial– und Ökodumping. Zusätzlich möchte er einen Katalog von „Modernisierungsmaßnahmen“ durchsetzen, die die letzten Überbleibsel der „Nelken–Revolution“ beseitigen sollen. Es kam deswegen in den letzten Monaten vermehrt zu Arbeitskämpfen und vor drei Wochen sogar zu einem kurzen Generalsreik, zum ersten seit 1982. Der Protest der Gewerkschaften richtet sich hauptsächlich gegen die von Cavaco Silva geplante Reprivatisierung von Staatsbetrieben und Banken sowie gegen einen Entwurf zur Änderung des Arbeitsgesetzes. Mit dem neuen, wesentlich weniger strengen Kündigungsrecht sollen portugiesische Betriebe konkurrenzfähig und unrentable Staatsbetriebe liquidiert werden. Allerdings ist dieser Kündigungsschutz auch durch die Revolutionsverfassung von 1975 garantiert, die nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden kann. Es laufen bereits eine Reihe von Verfassungsbeschwerden gegen Silvas Pläne. Der Regierungschef hat daher den oppositionellen Sozialisten signalisiert, daß er bei der Abstimmung über Verfassungsänderungen, die in den nächsten Monaten stattfinden sollen, auf ihre Unterstützung zählt. Außerdem gehört zu Silvas Programm, die letzten Agrarkooperativen in der Nordprovinz Alentejo zu liquidieren. „Die Exzesse der revolutionären Periode und das Trauma der Entkolonialisierung sind dank der Reife des portugiesischen Volkes und der Hilfe, die uns die internationalen demokratischen Kräfte nie verwehrt haben, seit langem überwunden“, versicherte Soares dieser Tage in Bonn, um alle Zweifel möglicher Investoren auszuräumen. Am Sonntag kehrt er nach Portugal zurück. Rechtzeitig, um am 25.April zu den Feiern des vierzehnten Jahrestages der „Nelken– Revolution“ dabeizusein.