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Nach der Volkszählung die Heimsuchung

■ Die kostspielige Staatsaktion schleppt sich mühsam ihrem Ende zu / Eine Bilanz von Vera Gaserow

Unter dem Berg von Gesetzesbrüchen, Pannen und Peinlichkeiten bei der Volkszählung versuchen sich jetzt Statistiker und Politiker freizuschaufeln und Selbstzufriedenheit zu mimen. Doch über Erfolg oder Mißerfolg der größenwahnsinnigen staatlichen Machtdemonstration können weder sie noch die zahlreichen Boykott–Bewegungen zu diesem Zeitpunkt ein schlüssiges Fazit ziehen. Nur eins ist klar: selten ist bislang in der Geschichte der BRD ein Gesetz auf so breite Ablehnung gestoßen.

„Gut“, einfach gut sei es gelaufen. Wo immer man ein Jahr nach dem Start des Unternehmens Volkszählung in den Chefetagen der Oberzähler herumfragt, quellen die Antworten über vor berufsmäßigen Zufriedenheitsbekundungen. Ein „überraschend gutes Ergebnis“ heißt es aus dem Statistischen Bundesamt in Wiesbaden. „So gut wie keine Ausfälle“ konstatieren die Zähler im Ruhrgebiet; Rücklaufquoten bis zu 100 Prozent will man in Rheinland– Pfalz festgestellt haben. Und in Berlin versteigt sich der Leiter des Statistischen Landesamt gar zu dem Urteil: „Die Zählung war noch nie so gut wie jetzt.“ Was „so gut“ im Klartext bedeuten soll, bleibt weitgehend ein Geheimnis der Statistiker, denn überprüfbar sind diese Erfolgsbilanzen für die Öffentlichkeit nicht. Nur in Einzelfällen gelingt es, die Verantwortlichen der Lüge zu überführen, wenn etwa das rheinland–pfälzische Innenministerium verkündet, in Ludwigshafen fehle kein einziger Bogen mehr, und allein im Haus des Ludwigshafener taz– Redakteurs dreizehn Leute ihren Bogen noch unausgefüllt herumliegen haben. Oder wenn die Ober–Volkszähler in Münster einen 100prozentigen Vollzug melden, die örtliche Vobo–Initiative aber noch heute Verweigerer– Zahlen von acht Prozent registriert. Doch ebenso wie die Volkszähler ihre Erfolgsstatistiken mit offenkundigen Lügen aufpolieren, müßte auch die Vobo–Bewegung mogeln, wenn sie behaupten würde, der Boykott sei zahlenmäßig weiterhin ungebrochen. In den großen Städten klaffen zwar immer noch beträchtliche Daten– Lücken, und Hamburg, wo noch 20 Prozent der Bögen ausstehen, mußte diese Woche ein Notprogramm zur Rettung der Volkszählung starten. Und überall gibt es auch noch Leute, die den Volkszählern gänzlich durch die Lappen gegangen sind, und in vielen Regionen konnten nur Ersatzvornahmen aus dem Melderegistern den Statistikern aus dem Schlamassel helfen. Dennoch: die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hat unter dem Druck unverhältnismäßiger Buß– und Zwangsgeldandrohungen inzwischen die blau– grünen Bögen zähneknirschend zurückgeschickt. Viele überzeugte Volkszählungsgegner haben das ungeliebte Stück Papier inzwischen ausgefüllt - nicht aus Resignation, vielmehr weil man rechtzeitig den Zeitpunkt erkannte, zu dem das Spiel ohne Schiedsrichter keine politische Auseinandersetzung mehr gewesen wäre, sondern nur noch ein teurer Spaß. Lang genug gedauert hat dieses Spiel allemal. Innerhalb einer Woche, so schreibt §13 des Volkszählungsgesetzes vor, sollten alle Bürger ihre Bögen bei der Erhebungsstelle zurückgegeben haben. Nach sechs Wochen sollten alle Unterlagen bei den Volkszählungsämtern eingetrudelt sein. Doch noch nie zuvor scherten sich die Bundesbürger so wenig um eine Gesetzesvorschrift. Inzwischen ist ein Jahr vergangen und statt sechs Wochen brauchten die Volkszählungsämter sechs Monate und mehr, um das Chaos zu sichten. Als einzige Bundesländer konnten bisher Rheinland–Pfalz und Niedersachsen die Volkszählung für beendet erklären. In allen anderen Bundesländern werden jedoch etliche Erhebungsstellen das einjährige Jubiläum des Stichtages 25. Mai 1987 überleben, und das unter großen Schwierigkeiten. „Ich weiß nicht mehr, wie ich meine Mitarbeiter noch motivieren soll. Ehrlich gesagt: mich nervt das auch ganz schön“, gesteht der Leiter der Wiesbadener Erhebungsstelle Manfred Schenk. Der Deutsche Städtetag, einer der Hauptinteressenten an der Volkzählung, wurde in der vergangenen Woche auf seiner Frühjahrstagung noch deutlicher: Man sei zwar interessiert an den Daten. Einer solchen Volkszählung werde man aber nicht ein zweites Mal zustimmen. Was den Städten und Gemeinden Bauchschmerzen bereitet, sind nicht nur die horrend gestiegenen Kosten der Zählung und der alles andere lähmende Verwaltungsaufwand, sondern auch die Qualität der Daten. „Wir haben zwar in weiten Teilen überraschend gute Zahlen“, so der Referent für Statistik beim Deutschen Städtetag, Raimund Bartella, „aber das scheinbar gute Ergebnis bundesweit wird getrübt durch die Ergebnisse in den Großstädten. Da gibt es doch erhebliche Unschärfen, und man muß prüfen, ob die Daten überhaupt aussagekräftig sind. Wer jetzt sagt: wir haben gute Daten, dem glaube ich nicht.Dem sage ich: das kannst du noch gar nicht wissen.“ Andernorts weiß man es angeblich doch. „Wir haben valide Daten“, lautet die Stellungnahme aus dem Statistischen Bundesamt, „keine Hinweise auf einen nennenswerten Umfang von bewußten Falschaussagen“. Volkszählungsgegnern muß das unwahrscheinlich vorkommen, denn von ihnen hat wohl kein einziger den Bogen korrekt ausgefüllt. Doch was einerseits durchsichtige Gesundbeterei der Volkszähler ist, offenbart gleichzeitig eine verpaßte Chance der Boykottbewegung. Sie hätte den Statistikern noch im letzten Stadium der Zählung einen dicken Strich durch die Rechnung machen können. Als nämlich zu jeweils unterschiedlichen Zeitpunkten ein Ausfüllen der Bögen unvermeidlich wurde und mit dem weichen Boykott die Zeit des Flunkerns anbrach, flunkerten alle auf ihre Weise. Die einen machten sich klüger, als sie waren, die anderen degradierten sich von der Professorin zur Hilfsarbeiterin. Einige minderten ihre Miete auf dem Papier gleich um etliche hundert Mark, andere waren plötzlich in ein Luxusappartement gezogen. Das alles brachte zwar die „zehn Minuten, die allen Spaß machen“, die Volkszählung hat es aber nicht durcheinandergebracht. Die falschen Angaben bleiben zwar falsch, aber statistisch gesehen nivellieren sie sich weitgehend. Zuverlässiges Datenmaterial bieten diese Angaben zwar nicht, aber in ihrer Gesamtheit fallen sie nicht aus dem Rahmen der Plausibilitätsprüfungen und Wahrscheinlichkeitskontrollen heraus, daß die Statistiker offen zugeben müßten: da stimmt etwas nicht. „Jetzt kann ich es ja erzählen“, triumphiert der Präsident des Statistischen Landesamtes Berlin, Reinhard Appel. „Wenn die Boykottbewegung sich auf ein einheitliches Falschausfüllen geeinigt häte, wenn zum Beispiel alle arbeitslos gewesen wären und einen Volksschulabschluß eingetragen hätten, hätten wir das nicht auffangen können.“ Und noch eines hat die Boykottbewegung nicht bedacht: den Geheimtip von Computerfachleuten zu praktizieren, jeden Volkszählungsbogen um einen halben Zentimeter unten zu kappen, damit er maschinell nicht mehr lesbar ist. Statistik–Chef Appel gesteht: „Das hätten wir organisatorisch nicht bewältigen können.“ Was Volkszählungsgegner vergaßen, besorgte in Berlin ein pflichtbewußter Beamter. Fein säuberlich heftete er die Unterlagen mit einer Metallklammer zusammen, und 30.000 Bögen waren für die Lesegeräte einfach „hin“.

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