Q U E R S P A L T E Kunstunterricht

■ Die Transformation Dürers in München

Die Zeugen des Kunstattentats in der Münchener Pinakothek sind um ihr Erlebnis zu beneiden. Siebzehn Schüler aus Krailing bei Starnberg waren dabei: die Handbewegung des korrekt gekleideten Herrn, der den Schülern zu den Dürerbildern gefolgt war, der Griff in die Jackentasche, die Pikkoloflaschen, deren Inhalt er in knappen, trainierten Bewegungen auf die Bildtafeln schleuderte. Dann der ätzende Geruch im Raum, die Krakelüren auf dem „Paumgartner Altar“, die Rinnsale auf der „Maria als Schmerzensmutter“ und der „Beweinung Christi“, die wie Wundwasser aussehen. Ich dachte erst, er wollte die Bilder anfeuchten“, sagt später Niklas Schäfer (16), der mit seinem Klassenkameraden Michael Wiese (15) verhinderte, daß der Attentäter eine zweite Pikkoloflasche mit Schwefelsäure verspritzte. Zweifellos ähnelte die Geste des Attentäters der eines Priesters, der Weihwasser versprengt. Damit konnten die Schüler und ihre Lehrerin an einem seltenen Akt der Transformation von Kunst in profane Materie teilhaben; sie konnten sehen, wie empfindlich der Wert jener Verwandlung ist, von der Joseph C.Choates 1880 bei der Eröffnung des Metropolitan Museum of Art in New York sprach: „Bedenkt darum, Mitbürger, die ihr auf vielerlei Märkten Vermögen macht, welchen Ruhm ihr euch sichern werdet, so ihr dafür sorgt, daß Fleisch zu feinstem Porzellan, Korn zu kostbarer Keramik werde und Eisenbahn– und Bergwerksaktien zu berühmten Gemälden der großen Meister.“ Die Museen sind, anderslautenden Einschätzungen zum Trotz, Tempel dieser Verwandlungen. Daß deren Hüter nun die letzten noch ungeschützten Werte mit Panzerglas umgeben, ist nur konsequent. Noch sinnvoller und dem Ort angemessen wäre allerdings, die Museumsgänger beim Eintritt mit spezieller Kleidung zu versehen. Variationen von Zwangsjacken und Ärztekitteln vielleicht. Andreas Seltzer