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Die Hillbillies von Washington

Aus Washington Stefan Schaaf

Washington D.C. erinnert mich an Berlin. So wie die alte Reichshauptstadt von der DDR, ist die US–Metropole von einem breiten Gürtel unwirtlichen Geländes umgeben, welches in mir nur das Bedürfnis erweckt, es möglichst schnell zu durchqueren. Na, na! d. Red. Anders als die DDR, wird dieser Suburbia–Gürtel aus Reißbrett–Wohnsiedlungen, Shopping Centers, High–Tech–Firmen, Autohändlern und Büroparks von Jahr zu Jahr immer breiter, die Verkehrsstaus gigantischer und Grünflächen seltener. Jenseits dieser nur von Pendlern und Konsumenten bewohnten urbanen Wüste jedoch ist die Welt plötzlich doch noch intakt. Etwa zwanzig Meilen außerhalb der Stadtgrenze ändert sich schlagartig die Szenerie. Die Straße windet sich nur noch zweispurig über sanfte grüne Hügel, allenfalls ein knatternder Pickup fährt sie entlang, während hinter einem schiefen Drahtzaun an ihrem Rand Pferde und Kühe grasen. Welten entfernt scheint das Hauptstadt–Getümmel von Akten– und Geheimnisträgern. Hier trägt man keine Schlipse und gebügelte Hemden mehr, sondern Latzhosen und derbe Stiefel. Die Abende werden statt mit dem Studium der neuesten Business–Fernkurse mit Handwerklichem und Volksmusik verbracht. Wie zu Grandma Moses Zeiten werkelt hier Washingtons Völkchen der Feierabendfarmer, Stadtflüchtlinge und späterwachten Hippies. Alle paar Wochen werden die Produkte dieses befriedigten Schaffens den staunenden Städtern auf einem Verkaufsjahrmarkt dargeboten. Mit offenem Mund stehen sie dann vor den Ständen, während sie in den Taschen nach der Kreditkarte wühlen. Jawohl, der Kreditkarte. Auch die Hillbillies sind nicht mehr so von gestern, daß sie noch nie etwas von „American Express“ gehört hätten. Manche der Tüftler sind inzwischen so geschickt im Vermarkten ihrer Ware geworden, daß sie das gesamte Sommerhalbjahr die „Arts and Crafts Fairs“ zwischen New Hampshire und North Carolina abgrasen. Ein solcher Markt in derNähe Washingtons brachte neulich Aussteller aus über einem Dutzend US–Bundesstaaten, von Maine herunter und von Alabama herauf zusammen. Von Möbeln und Musikinstrumenten über Puzzles und Puppen bis zu Schmuck und Spielzeug wurde alles feilgeboten, was sich von Hand herstellen läßt. Manches davon soll einfach nur schön sein, anderes einfach nur praktisch, einiges sogar beides. Die Suburbianer, Natürlichem immer mehr entwöhnt, sind begeistert. So ein Tag im Büro fängt schließlich ganz anders an, wenn man den Morgenkaffee aus einem bunten handgetöpferten Pott getrunken und das Brot auf einem dicken, aus verschiedenfarbigen Hölzern zusammengeleimten Brett geschnitten hat. Der Tag hört genauso angenehm auf, denn die Töpfer vom Land haben mittlerweile gelernt, ihre Produkte in spülmaschinenfester Version herzustellen, so daß der Abwasch entfällt. Eigentlich ist fast alles, was man hier erstehen kann, geeignet, den Alltag angenehmer zu gestalten: warme Hausschuhe aus Fell, bestickte Bettdecken oder dicke Webteppiche. Bei gewissen Dingen wird es allerdings zur Geschmacksfrage, ob man sie als angenehm empfindet oder eher als scheußlich. Die Kerzen in Weihnachtsmannform oder das als Schildkröte verkleidete Sofakissen würde ich nicht einmal meiner Schwiegermutter schenken - wenn ich eine hätte. Vielleicht einen der hüfthohen Kraniche aus grünglasiertem Ton? Vielleicht auch nicht. Und so herrscht eine friedliche Koexistenz von Schönem und Scheußlichem in den kleinen Ausstellungsboxen, in denen an anderen Wochenenden Schweine versteigert werden. Die Städter streunen herum, knabbern an einem Hot Dog oder einem Sandwich mit meerfrischen Austern, lauschen einer Steel Band und ziehen am Ende mit einem Schaukelstuhl von dannen - oder auch nur mit einem Glas garantiert naturreiner und selbstgemachter Marmelade. Ein bißchen wie in der guten alten Zeit, als es weder Suburbias noch Shopping Centers gab.

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