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Möllemanns „marktgerechte Hochschule“

■ Bundesbildungsminister will Studienzeit auf vier Jahre begrenzen / Semesterwochenstunden sollen festgelegt, Fachangebote entrümpelt werden / Bund–Länder–Kommission für Bildungsplanung befaßt sich am Freitag mit Maßnahmenbündel / VDS warnt vor Sanktionen

Bonn (taz) - Bundesbildungsminister Jürgen Möllenmann (FDP) sorgt sich um den akademischen Nachwuchs im Land. Ist erst mal der europäische Binnenmarkt hergestellt, so fürchtet er, haben deutsche Hochschulabsolventen gegen ihre ausländischen Mitbewerber keine Chancen mehr. Schuld daran ist die Vergreisung unserer Studentenschaft: Nach mindestens 13 Schuljahren, Wehrpflicht und durchschnittlich sieben Jahren Hochschulausbildung schleppen sich die Studenten hierzulande oft erst „zu Beginn des vierten Le bensjahrzehnts“ auf den Arbeitsmarkt. Mit trüben Aussichten treten sie dann dort gegen die jugendlich–faltenfreie Studentenelite aus dem Ausland an. Höchste Zeit für den Bildungsminister, die Verkürzung der Studienzeiten „energisch anzugehen“. Nach dem Willen Möllemanns sollen in Zukunft vier Hochschuljahre ausreichen, um sich für den Beruf zu qualifizieren. Dazu muß freilich abgespeckt werden. Die aufgeblähten Lehrinhalte sollen auf die Prüfungsanforderungen reduziert und das Studium soll ef fektiver strukturiert werden. Dabei schwebt Möllemann eine Verringerung der Leistungsnachweise vor; aber auch festgelegte Semesterwochenstunden und eine neue Ferienregelung sind im Gespräch. Damit sich Leistung auch wirklich lohnt, will Möllemann finanzielle Anreize für kurze Studienzeiten schaffen. Weil der Bildungsminister von halben Sachen nichts hält, versucht er nicht nur Lehrstoffballast loszuwerden, sondern plant überdies, das universitäre Fachangebot Ende, und Möllemann könnte unter dem Titel „marktgerechte Hochschule“ ein neues Kapitel deutscher Uni–Geschichte schreiben. Wer dann noch auf der Strecke bleibt und sich länger als erlaubt bildet, der hat eine Strafe verdient: Kein Prüfungsprädikat mehr für den Bummler, dafür aber einen Verweis neben seine Abschlußnote: „17 Semester hat er gebraucht.“ Auch bei Vorstellungsgesprächen sollen Bummler demnächst schlechte Karten haben. Denn die Personalchefs haben nach Möllemanns Vorstellung die Pflicht, „bei Einstellungsentscheidungen die Studiendauer zu berücksichtigen“. Am Freitag befaßt sich die Bund–Länder–Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung mit dem Maßnahmenbündel, das ihr siegessi cherer Präsident Jürgen Möllemann vorlegt. Aber der ist angewiesen auf die Zustimmung der SPD–Mitglieder, und die sind von dem Papier nicht begeistert. Die bildungspolitische Sprecherin der SPD–Bundestagsfraktion, Doris Odendahl, verwies darauf, daß zur Beseitigung langer Studienzeiten eine bessere finanzielle Förderung, Verlängerung der Öffnungszeiten in den Bibliotheken und mehr Personal für bessere Betreuung nötig seien. Das kostet aber Geld. Dies solle Möllemann dem Bundesfinanzminister und auch den Ländern deutlich sagen. Auch die Vereinigten Deutschen Studentenschaften (VDS) haben am Mittwoch in Bonn davor gewarnt, mit Hilfe von Sanktionen und Prüfungsverschärfungen kürzere Studienzeiten zu erzwingen. Ursache für die lange Studiendauer in der Bundesrepublik sei nicht die Faulheit der Studenten, sondern vielmehr ihre soziale Situation.

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