: Hamburger Seeleute auf den Barrikaden
■ Bundesdeutsche Seeleute blasen zum Überlebenskampf / Bonn plant Zwei–Klassentarifrecht namens Billigregister / Anheuern „billiger“ Matrosen / Angst vor Arbeitsplatzverlust
Hamburg, taz - Mit einer Verfassungsklage, Schiffs– und Straßenblockaden und notfalls mit einem „politischen Streik“ wollen die deutschen Seeleute eine Gesetzesinitiative der Bundesregierung zur Einführung eines „zweiten Schiffsregisters“ stoppen. Das erklärten am Donnerstag abend Sprecher der Gewerkschaft ÖTV vor dem „Hamburger Hafenclub“ an den Landungsbrücken, wo sich spontan 250 aufgebrachte Seeleute versammelt hatten. In dem Nobelclub erläuterte gerade der CDU–Bundestagsabgeordnete Dirk Fischer vor geladenen Gästen die Regierungspläne. Die ÖTV ler: „Was die Rheinhausener Kollegen können, können wir auch. Wir müssen das so machen wie die Hafenstraße.“ Noch in diesem Sommer wollen die Bonner CDU/FDP–Koalitionäre den Gesetzesentwurf durch den Bundestag bringen, mit dem angeblich durch drastische Lohnsenkungen ein weiteres Umflaggen verhindert werden soll. Den Koalitionsbeschlüssen zufolge soll es dann den Reedern möglich sein, ihre Seeschiffe in ein „Billigflaggenregister“ eintragen zu lassen, das zwei Klassen von Seeleuten an Bord zuläßt: deutsche Beschäftigte, die zu bundesdeutschen Gesetzen und Tarifbedingungen fahren, und ausländische Seeleute, die nach den gültigen Tarifverträgen in ihren Heimatländern angeheuert werden, also zu Löhnen und Sozialleistungen, wie sie in Burma, auf den Bahamas oder den Philippinen üblich sind. Nach Auffassung der ÖTV verstößt die Gesetzesinitiative nicht nur in mehrfacher Hinsicht gegen das Grundgesetz, weil gegen das Diskriminierungsverbot von Ausländern, die Tarifautonomie und gegen das Einheitlichkeitsgebot der deutschen Handelsflotte verstoßen werde. Es würde zugleich die Vernichtung der letzten 17.000 Arbeitsplätze in der deutschen Seeschiffahrt zur Folge haben. Hapag–Lloyd–Betriebsrat Jürgen Söncksen: „Die Reeder wären doch blöd, wenn sie die Möglichkeiten des Billigregisters nicht ausschöpfen würden.“ Die Gewerkschaft bezieht sich in ihrer Kritik auf norwegische Erfahrungen, wo seit Inkrafttreten eines Billigflaggenregisters die Zahl der Seeleute von 12.000 auf 7.000 sank. Zehn Prozent der norwegischen Schiffe fahren inzwischen ausschließlich mit Billiglandpersonal, beim Rest befinden sich nur noch vereinzelt einheimische Seeleute auf der Brücke. Für die Bundesregierung ist der Vorstoß zugleich ein Pilotprojekt. Könnte nämlich ein solches Billigflaggenregister durchgesetzt werden, hätte dies nach Auffassung der CDU „präjudizierende Bedeutung“ auch für andere Branchen. Im Klartext: Der Weg zur Anwendung türkischer Tarifverträge für türkische Beschäftigte in der Metall– oder Automobilindustrie wäre nicht mehr weit. Kai von Appen
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