piwik no script img

Yin und Yang im Zirkuszelt

Letztes Jahr, im November, da war mir oft schlecht - Kopfschmerzen, müde und so - Sie kennen das ja -, und damals gabs ja noch nicht die Meditationskassetten von Togal. Aber meine Freundin Cilli, die sich auskennt, hat gesagt, das kommt von den zuwenig Ionen, die sonst auf der Erde rumwieseln - im November fehlen die. Ich weiß jetzt nicht, ob das kommt, weil den Ionen das hier im November zu kalt ist und die dann quasi wie die Zugvögel, oder ob der November einfach per se ein ganz mieser Monat ist - auf jeden Fall soll uns das alles jetzt sowieso nicht mehr tangieren, weil nämlich aus Kassel (ausgerechnet!) eine Frischluftoase kommen wird, und dann können uns die wildlebenden Ionen mal... Diese „Atem– und Energiepyramide“ wird wie vieles andere auf der Messe „Bewußt Sein 88“ - ich wünschte, es wär soweit - anläßlich von Rat Tat Art (“Oder wie wir sagen Rattatart“, so Tempodrom–Chefin Irene Mössinger) erst in der Kongreßhalle und dann auch im Tempodrom aufgebaut werden. Das hat „Pioniercharakter“ und wird „wohl ein Meilenstein in der weltweiten Gesundheitsförderung werden“. Bei der Pressekonferenz im Tempodrom gab es (umdrapiert) die Nelkengestecke des Berliner Senatsprotokolls vom Melina– Mercouri–Empfang des letzten Wochenendes, und auch ein paar Telecrackers gabs für die Ewighungrigen der Medien. „Therapie, Umweltschutz und Hunger in der dritten Welt“ seien die Themen des einmonatigen Kongresses, aber, bevor sich die einzelnen Projekthanseln und -greteln vorstellten, gabs erst mal eine Einstimmungseinlage vom Berliner Kung Fu Theater. Magere Berliner Jungs (es sollen auch Mädels dabei sein, die mußten aber arbeiten - ja, ich denke, wir sind hier in Westeuropa!) unter der Führung eines mächtigen Mannes aus Asien klopften beeindruckend martialisch mit den Füßen auf die Erde und mit Stöcken gegeneinander, aber dann zeigte der Meister erst die richtige Show: Er piekste sich die ziemlich spitze Spitze einer Eisenstange direkt in seinen Hals (das andere Ende wurde von einem Berliner gehalten), und mit seinem Hals bog er doch tatsächlich die dicke Eisenstange um! Damit nicht genug, ließ er sich auch noch einen dicken Stein (und zwar, liebe Schwarzjacken aus Kreuzberg, nicht etwa solche lächerlichen kleinen Pflasterbröckchen, wie ihr sie gerne benutzen tut...) und dann noch einen auf den Nacken setzen, und dann schreit wieder einer ganz furchterregend und haut den oberen Stein entzwei! Ja, das will gelernt sein... und nicht immer nachfragen, wofür das gut sein soll, ihr kleinen Besserwisser! „Wir sind nicht mehr alternativ, wir wollen uns unbegrenzt und grenzenlos vorstellen“, sagte Herr Meister, der mit Frau Sommer (nicht die von Jacobs Kaffee) die Messe organisiert hat, und darüber wollen wir jetzt nicht rumassoziieren, auch nicht darüber, daß Herr Meister gar nicht uns anschaut, während er zu uns spricht. Auf der Messe (vom 29.4. bis 3.5.) wird man nicht nur kaufen, sondern auch informieren können: „Loslassen im Gesang, Astro–Modenschau, Re–birthing und Balancing, Tarot, Pantomime, Yoga, Tantra, Ufos, Jesus Christus, Tai Chi, Sufi, Radiästhesie, rechts– und linkshirnige Forschung und natürlich jede Menge Zeug zum Wohlfühlen und Besserwerden: Spirituelle Videos, Entspannungssets, Horoskope, Bio–Licht, Kristalle, Beratungen in Lebenskrisen, kreative Lederarbeiten, Tauchen mit Bewußtsein und watweißichnichalles (Wie stieß es dem Kettenhundkollegen Droste neulich ganz unqualifiziert auf: „Bestußtsein 88“). - Soweit würden wir nicht gehen wollen, das Bemühen des Menschen, sich zu vervollkommnen, ist ja nicht weniger als legitim und wahrlich löblich - nur, daß sie dabei immer gleich wie Shirley MacLaine gucken müssen... Marilee Zdenek zum Beispiel (Präsidentin der „Right Brain Resources, Inc.“, regelmäßige Veranstalte rin von Kreativitätsseminaren) schaut auch so blitzblank aus den rechtsgehirnaktiven Äuglein, wenn sie anhebt: „Creativity is the most important thing...“ well, well, und ihr Workshop (eine Reise zum rechten Gehirn) ist gleich am 1.Mai. Für die Organisation „Menschen für Menschen“ (Karl–Heinz Böhm) ist auch eine Dame aus München angereist: „Wir haben ja mit Esoterik überhaupt nix zu tun“, lächelt sie etwas ratlos, greift aber dann beherzt zum Pikkolo, was mal wieder zeigt, daß die in Bayern eine ganz andere Lebensart gewohnt sind. „Wir tun was gegen den Hunger und sammeln also in erster Linie Geld.“ Allmählich fragt sich der ewig Fragende, noch Augustinus den Heiligen im Ohr - „Den Irrtum muß man hassen, den Irrenden aber lieben“ (ganz im Gegenteil zum Verrat übrigens!) -, ob das denn alles so mit rechten Dingen und ganz ungestört über die Bühnen gehen kann - da rückt die Tempodrom–Chefin auch schon raus mit dem Skandal: Der evangelische (In)Sekten–Beauftragte hat gegen die öffentliche Förderung und gegen die Teilnahme des CDU–Gesundheits–Senators protestiert, weil er weiß, daß einer der Teilnehmer (Timothy Leary) „an seine Schüler Drogen verteilt“. Das finden wir jetzt aber echt diskriminierend, schließlich hat der Mann für ganze zwei Joints fünf Jahre im Knast gesessen und schwärmt seit dem nur noch von Computern... „Wir lassen uns die Teilnehmer selbstverständlich nicht vorschreiben“, erleichtert uns Irene Mössinger, „wir haben selbst schon eine Vorauswahl getroffen“ - auf die Frage, wer denn auf keinen Fall hätte mitmachen dürfen: „Die Mun–Sekte und Uri Geller - der sucht doch für Unternehmen Bodenschätze.“ (Das finden wir ja jetzt überhaupt nicht so schlimm, Wolf Biermann macht doch auch Reklame für „Apple“– Computer und darf immer noch für linke Lehrer singen.) Ohne weitere Fragen knabbert die Journaille weiter am Tele–Gebäck, die Dame aus München (“patent und praktisch sans scho“) nimmt sich noch einen Pikkolo, der Essener Installationskünstler (“Objekt am öffentlichen Baum“) Thomas Rother ist erstaunt darüber, daß er ans Bezirksamt Tiergarten eine Baum–Leihgebühr bezahlen soll, obwohl ihm das Land Nordrhein–Westfalen schriftlich bestätigt hat, daß seine Kunst den Bäumen nicht schadet, und mit Esoterik hat er auch nichts am Hut, schließlich ist er Lokalredakteur in Essen. Der ionenarme November ist reichlich vorbei, mir ist auch schon lange nicht mehr schlecht gewesen; im Mai, da grünen die Bäume und blühen die Herzen, alles will sich erneuern und um sich, nein, ausschlagen - warum nicht auch das Bewußtsein, die rechte und linke Hälfte -, wir wünschen gute Unterhaltung, Glück und Segen. Renee Zucker

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen