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Freispruch für taz und Kunzelmann

■ Aus „Rechtsgründen“ freigesprochen / Auf heikle Frage der Pressefreiheit gar nicht erst eingegangen

Berlin (taz) - Mit Freispruch endete gestern das Berufungsverfahren wegen Verunglimpfung des Staates gegen den Ex–AL–Abgeordneten Dieter Kunzelmann und drei Redakteure der taz vor dem Berliner Landgericht. Corpus delicti war ein Interview vom März 1986 in der taz, in dem Kunzelmann den Berliner Senat auf der Höhe des Berliner Korruptionsskandals als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet hatte. Nach einem Freispruch in erster Instanz, in dem es hieß, Kunzelmann habe zwar eine harte Kritik am Senat geübt, mit dieser aber nicht beschimpfen, sondern aufdecken wollen, standen die vier Angeklagten jetzt aufgrund der Berufung der Staatsanwaltschaft erneut vorm Kadi. Das Landgericht, das Kunzelmanns Äußerung sehr wohl für strafbar hielt, sprach die Angeklagten gestern jedoch aus Rechtsgründen frei: Sie seien wegen eines falschen Paragraphen angeklagt worden. Die Kammer habe zu prüfen gehabt, so der Vorsitzende Richter, ob Kunzelmann das Land Berlin insgesamt beschimpfen wollte. In Anbetracht dessen, daß Kunzelmann in dem Interview das Wort „Kriminelle“ in Verbindung mit dem Senat und der Verwaltung im Munde führe, handele es sich um keine Beschimpfung Fortsetzung auf Seite 2 des Landes nach Paragraph 90a, sondern um eine Beschimpfung seiner Orange nach Paragraph 90b. Deshalb habe Freispruch erfolgen müssen. „Das bedeutet nicht, daß der Senat als kriminelle Vereinigung bezeichnet werden darf“, erklärte der Vorsitzende. Diese Äußerung sei sehr wohl strafbar, die Angeklagten dafür zur Rechenschaft zu ziehen, sei jedoch nicht möglich gewesen, weil der Senat die erforderliche Ermächtigung nicht erteilt habe. Auf die heikle und über die Pressefreiheit entscheidende Frage, ob der Abdruck solcher Interviews strafbar sei, ging das Landgericht gar nicht erst ein. Die Staatsanwaltschaft, hatte für Kunzelmann vier Monate Haft ohne Bewährung und für die taz– Redakteure Geldstrafen bis zu 3.200 Mark gefordert. Ihr Versuch, eine Anklage wegen Verunglimpfung nach Paragraph 90b zu erheben, war daran gescheitert, daß der Senat die Ermächtigung verweigert hatte.

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