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Der Esoterik–Markt geht in die Breite

■ Von der Taschenlampe bis zum Edelstein - auf der Messe Bewußt Sein 88 hilft Geld gegen jedes Übel

Aus Berlin Petra Dubilski

Wer keine Zeit hat, einen Waldspaziergang zu machen, um das Gehirn zu entlüften, oder wer gegen seine Rückenschmerzen keine Tabletten nehmen will, dem kann jetzt geholfen werden. All die fremdartigen Utensilien zum Schöner–, Besser– und Gesünder– Werden, bislang nur in kleinen Spezialgeschäften mit exotischen Namen zu sehen, konnten auf der Berliner Messe Bewußt Sein 88 bestaunt und auch gekauft werden. „Geniale Ideen sind immer einfach“, preist einer sein Entspannungsset an. In der Tat: Zwei feinmaschige Netze aus Kupfer, verbunden mit zwei Zylindern, alles irgendwie auf den Körper verteilt und in die Hand genommen, während man entspannt auf einer Liege schlummert, ist verblüffend einfach - und mit 200 Mark auch verblüffend teuer. Gegen allerlei Unpäßlichkeiten soll auch eine Taschenlampe helfen - aber bitte nicht die, mit der man nachts in den Keller geht. Für knapp 400 Mark und erst mit sechs verschiedenen Farbfiltern ist sie heilsam. Erhellt werden sollen damit jedoch nicht die dunklen Ecken in der Umgebung, sondern die finsteren Energien am und im eigenen Körper, die das Unwohlsein verursachen. Der Neue Luxus hat auch auf dem esoterischen Markt Einzug gehalten. Die Verkaufsstände mit Edelsteinen in allen Größen und Farben sind eindeutig in der Überzahl. Daß glitzerndes Geschmeide gegen mancherlei Unbill ein Trost sein kann, wissen wir nicht erst seit Marylin Monroes Diamonds are a girls best friend. Ein gebro chenes Herz ist mit einem Brillanten sicherlich leichter zu kitten. Neue Perspektiven eröffnet jedoch die Tatsache, daß ein Amethyst gegen Trunksucht hilft (also nicht mehr ohne einen lila Stein in die Kneipe gehen!) und vorbeugend gegen Stürze soll ein Turmalin sein (für Hochbauarbeiter zu empfehlen). Beeindruckend ist dagegen ein kleines Kästchen, das wie ein Radio ohne Knöpfe aussieht. Mit seiner Hilfe soll nach Angaben des Anbieters die Luftqualität erheblich verbessert werden. Doch Umweltschützer freuen sich zu früh. Nicht das Gift wird aus der Luft gefiltert, sondern diese wird mit Hilfe des Kästchens mit negativen Ionen aufgeladen; sind die näm lich unterrepräsentiert in der Luft, gibt es Kopfschmerzen, Müdigkeit und Streß. Wo es wissenshungrige Menschen gibt, gibt es auch Bücher. Von der Astrologie über östliche Weisheiten bis hin zu dem Problem, wie ich meine Kollegen ohne Gewaltanwendung beeinflusse, wird alles beschrieben, was das menschliche Dasein so aufregend macht. Hier jedoch blättern die Leute nur gelangweilt in den gedruckten Erleuchtungen. Alles schon mal dagewesen, nichts Neues, meint auch der junge Mann hinter dem Computer. Er hat den esoterischen Bücherschreibern den Kampf angesagt. Mit seinem Internationalen Esoterischen Informationsdienst (E.S.A.T. - hört sich an wie ein neues Fernsehprogramm, ist aber die technische Revolution in der Esoterik) will er ein weltweites Info–Netz spannen, durch das jedes Buch inklusive Sekundärliteratur seit dem Mittelalter herausgefunden werden kann, was weiteres Bücherschreiben auf diesem Gebiet überflüssig machen soll. Bislang ist das Angebot auf dem Esoterikmarkt noch sehr spezifisch. Aber es wird sicher nicht mehr lange dauern, bis auch die Massenproduzenten von der Erleuchtung profitieren wollen. Dann wird es auch bald in jedem Kaufhaus den meditativen Rührmix geben, dessen zartes Summen jeden Kuchen gelingen läßt.

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