Moro - begraben unter Heuchelliebe

■ Zum zehnten Jahrestag seiner Ermordung lenken alle Parteien heftiges Lob auf den ehemaligen Ministerpräsidenten

Aus Rom Werner Raith

Selbst die Kommunisten, seinerzeit in eher mißtrauisch–freudlosen Verhandlungen über eine Große Koalition (“Nationale Solidarität“), betrachten den nach 55tägiger Entführungszeit am 9. Mai 1978 ermordeten vielmaligen Ministerpräsidenten nun als „einen der größten europäischen Staatsmänner unseres Jahrhunderts“ (so Parteichef Alessandro Natta); und sogar die Entführer und Mörder Aldo Moros, die Roten Brigaden, werden nicht müde, seine - so Brigadenchef Moretti - „menschliche Würde und Intelligenz“ zu loben. Eine Parade mitunter fast zum Erbrechen reizender Würdigungen prasselt derzeit zum zehnten Jahrestag der Ermordung Moros auf die Italiener nieder. Salbungsvolle Phrasen zumeist von jenen, die zu Lebzeiten des Politikers wenig mit ihm anfangen konnten, ihn als „Doktor Langeweile“ (DC–Spott) oder „Maestro Ambivalenz“ (PCI– Schmähung) beschimpften, die ihn noch am Vortag der Entführung verdächtigten, von der Flugzeugfirma Lockheed Schmiergelder genommen zu haben (wie die sozialistennahe Tageszeitung La Republica) oder in ihm, wie die Roten Brigaden, nur „den Knecht des multinationalen Imperialismus“ sahen. Die Gründe für das „neuerliche Begräbnis Moros unter Lob und Heuchelliebe“ (Il Manifesto) sind recht unterschiedlich. So hat sich Flaminio Piccoli, zur Zeit Moros DC–Fraktionschef und Gegner jeder möglicherweise lebensrettender Verhandlungen mit den Entführern, neuerdings zum Vorkämpfer einer Amnestie oder zumindest eines Strafnachlasses für politisch motivierte Täter gemacht - „um nun endlich einen Schlußstrich um jene bleiernen Jahre des Terrorismus zu ziehen“. Ein Vorschlag, der nicht nur vom „historischen Kern“ der einsitzenden Brigadisten (Renato Curcio, Mario Moretti, Barbara Balzerani), sondern auch von vielen Politikern und Richtern aufgenommen und auch durch neuerliche Attentate einiger Spätbrigadisten, die vor drei Wochen Senator Ruffilli ermordeten, kaum gebremst wird. Was auf den ersten Blick wie eine ernsthafte Versöhnungsdebatte aussieht, bekommt freilich mitunter einen „recht suspekten Beigeschmack“ (so das Nachrichtenmagazin Panorama) wenn die Amnestie als Blockade weiterer Enthüllungen über die vielen ungeklärten Punkte jener „55 Tage“ propagiert wird. Gerade Christdemokrat Piccoli wird nicht müde, dunkel anzudeuten, daß „da möglicherweise jemand noch gewisse Geheimnisse aus jenen 55 Tagen Entführungszeit kennt und sie zum passenden Zeitpunkt herauslassen wird“. Ein Gnadenerweis könnte da wohl den Mund plaudersüchtiger Brigadisten wirkungsvoll stopfen. Immer deutlicher zeigt sich, daß alle italienischen Parteien - von den Christdemokraten bis zu den Kommunisten, von den Sozialisten bis zu den Grünen - in einer tiefgreifenden ideologischen Krise stecken; und das führen die meisten auch darauf zurück, daß ihnen die Vordenker mit weitreichenden politischen Entwürfen fehlen, die charismatischen Persönlichkeiten mit einer einigermaßen sauberen Weste, die glaubwürdigen, eher ehrgeizlosen Vermittler zwischen den Parteien und den Generationen. Gerade darin aber gilt Moro, zumindest in der nachträglichen Verklärung, als unübertrefflicher Meister. Wichtig für die Politiker ist, daß sie einen, den zumindest posthum alle lieben, für sich reklamieren können.