: Der RGW ist durch innere Widersprüche blockiert
■ In Budapest kritisiert der sowjetische Ministerpräsident Ryschkow die sozialistische Wirtschaftsgemeinschaft / Konservative fürchten das Ende des Warentauschs
Von Farkas Piroschka
Harte Worte fand der sowjetische Ministerpräsident Ryschkow auf seiner kürzlich beendeten Ungarn–Reise für den mißlichen Zustand, in dem sich das östliche Wirtschaftsbündnis, der RGW, schon seit Jahren befindet. Ein Zufall war es bestimmt nicht, daß er für die scharfe Kritik einen Besuch bei der ungarischen Wirtschaftskammer genutzt hatte, denn die Kammer gehört nicht nur zu den wichtigsten treibenden Kräften einer radikalen Wirtschaftsreform, sondern ist zudem eine der wenigen auch formell unabhängigen Institutionen des Landes. In die offizielle Erklärung über den Staatsbesuch fanden seine kritischen Bemerkungen allerdings keinen Eingang, was sie - trotz ihrer Radikalität - etwas halbherzig erscheinen läßt. Der RGW verfüge über keinerlei Mechanismen, die die Betriebe der Mitgliedsstaaten zur Entwicklung ihrer gegenseitigen Beziehungen veranlassen würde. Man habe in der Vergangenheit vor allem gut klingende Erklärungen abgegeben, anstatt eine wirkliche Integration zu betreiben, erklärte der sowjetische Staatschef vor der Wirtschaftskammer und schloß sich der Auffassung des ungarischen Tungsram–Konzerns an, dessen Leiter sich bei ihm wegen des Naturalaustauschs im RGW beklagt hatte. Ohne Handel, der auf den Ware–Geld–Beziehungen beruhe, könne man von einer Vertiefung der Integration nicht sprechen, sagte Ryschkow und lud die ungarischen Fachleute, die über die meisten Erfahrungen im Bereich der monetären Reformen verfügen, ein, sich verstärkt an der Ausarbeitung einer solchen Reform im Rahmen des RGW zu beteiligen. Nun hat es an ungarischen Anregungen, die in diese Richtung wiesen, seit Jahren nicht gemangelt. Aber spätestens auf der letz ten außerordentlichen Ratstagung des RGW im Oktober 1987 hat es sich gezeigt, daß diese Vorschläge unter den heutigen politischen Bedingungen kaum durchsetzbar sein werden. Während Polen und Ungarn schon seit Jahren auf die konsequente Monetarisierung der Beziehungen im RGW drängen, verwahrten sich die Konservativen im Lager bisher gegen solche Maßnahmen, da sie davon die Aufweichung ihrer weiterhin strikt nach Planverordnungen arbeitenden Wirtschaftssysteme befürchten. Vor allem die DDR und Rumänien sind entschlossen, alle Maßnahmen, die die Konvertibilität der östlichen Währungen un tereinander und langfristig auch auf dem Weltmarkt ermöglichen sollen, abzulehnen. In den fünfziger und sechziger Jahren, als noch in allen sozialistischen Staaten Osteuropas die gleiche, extrem zentralistische, auch im Inneren auf dem direkten Warenaustausch begründete Wirtschaftsweise vorherrschend war, entsprach die Konstruktion des RGW diesen inneren Verhältnis sen. Er war als eine Art oberste Planungsinstanz gedacht, der die Koordination der nationalen Pläne zur Aufgabe hatte. Perspektivisch sollte der RGW eine allmählich zusammenwachsende sozialistische Wirtschaftseinheit unter der Verwaltung von zentralen Ratsbehörden werden. Diese Einheitlichkeit der zentralistischen Wirtschaftsmodelle ist heute nicht mehr gegeben. Die ungarischen und polnischen Preise, die zwar immer noch keine Marktpreise sind, aber wenigstens annähernd die Produktionskosten widerspiegeln, können nicht mit den staatlich festgelegten Preisen der DDR und der Sowjet union verglichen werden, die Hunderte von Subventionen und sonstige außerwirtschaftlichen Elemente enthalten. Bei dem Vergleich des Unvergleichlichen hilft auch der Transferrubel nicht, der kein Geld, sondern eine schwerfällig künstliche Verrechnungseinheit ist. Sein Wert muß jedesmal neu gegen jede andere Währung ausgehandelt werden und widerspiegelt mehr die jeweiligen Macht– als Marktverhältnisse. So bleibt man lieber weiter beim Austausch von Waren gegen Waren, wobei die meisten Länder dazu übergegangen sind, besonders wertvolle Güter nur noch gegen westliche Devisen zu liefern - ein Zustand, der offensichtlich keinen der Mitgliedsstaaten zufriedenstellen kann. Freilich, es sind vor allem die politischen Widersprüche, die eine kurzfristige Einigung so wenig aussichtsreich erscheinen lassen. Bedingt durch die wirtschaftliche und geographische Übermacht der Sowjetunion bedeutet jeder Schritt zu mehr Integration auch einen Schritt zu mehr Abhängigkeit der kleineren Staaten. Diese Tatsache dämpft ihre Begeisterung für die engere Zusammenarbeit spürbar. Wie berechtigt diese Befürchtungen sind, ist ebenfalls an der Rede Ryschkows in Budapest ablesbar. Er machte dort keinen Hehl daraus, daß die Sowjetunion Alleingänge der Bündnispartner weiterhin ungern sieht, und geißelte nicht nur den trägen RGW, sondern auch die Mitgliedsstaaten, die sich statt der Förderung des maroden Wirtschaftsbündnisses mehr dem Ausbau ihrer Kontakte mit dem Westen widmeten. Wenn schon Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen, dann gemeinsam, empfahl der sowjetische Regierungschef den Ungarn, die dieser - auf die Wiederherstellung der sowjetischen Vormacht bedachte - Vorschlag bestimmt nicht gefreut hat. Aber nicht nur das gewachsene Nationalbewußtsein der Mitgliedsstaaten steht den Integrationsbemühungen im Wege. Ganz offensichtlich haben die Führungen der CSSR und der DDR auf das Scheitern der Gorbatschowschen Reformbemühungen gesetzt, und sie werden sich auch aus diesem Grunde voraussichtlich allen Maßnahmen widersetzen, die sie zur Durchführung von Wirtschaftsreformen im eigenen Lande zwingen würden. Am stärksten ist der Widerstand der DDR, die dank der Geld– und Warenspritzen aus der BRD und der EG die ungebrochene Leistungsfähigkeit des stalinistischen Wirtschaftsmodells demonstrieren kann. Und schließlich ist die Sowjetunion selbst unentschlossen, ob sie ihre Wirtschaft einem so direkten und unmittelbaren Vergleich mit dem Westen aussetzen soll, wie es die Konvertierbarkeit der Währungen bedeuten würde. Vorschläge dieser Art sind auch innerhalb der Sowjetunion sehr umstritten. Eine Reform des RGW kann jedoch nur in dem Maße vorwärtskommen wie die wirtschaftlichen Reformen in den einzelnen Ländern. Da aber dort zur Zeit kaum etwas geschieht, was von Bedeutung wäre, wird der RGW auch nicht helfen können, die allgemeine Stagnation der sozialistischen Wirtschaft zu beheben.
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