: Der ewige Drang zum Plutonium
■ taz–Interview mit John Large, Mitarbeiter eines Ingenieurbüros für Nukleartechnik
taz: Es hat sich jetzt herausgestellt, daß die britischen gasgekühlten Atomreaktoren (AGR) aufgrund eines schweren Konstruktionsfehlers seit zwölf Jahren heruntergefahren werden müssen, um sie wiederaufladen zu können. Ist diese Prozedur sicher? Large: Ich denke schon. Die Aufsichtsbehörde (NII) hat das Risiko erkannt und den Betreibern verboten, den Reaktor wie geplant bei vollem Betrieb nachzuladen. Die betreibende Elektrizitätsbehörde (CEGB) behauptet, selbst wenn eines der vibrierenden Brennelemente bräche und in den Reaktorkern fiele, bestünde keine Gefahr eines „melt down“. Ich halte diese Feststellung für etwas voreilig; es könnte gerade noch einmal gut gehen, aber es gibt da eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten. Auch das NII scheint sich da ja nicht ganz sicher, deswegen die Auflagen, die den wirtschaftlichen Vorteil des AGR gegenüber dem amerikanischen Druckwasserreaktor PWR aufheben. Wie konnte es denn zu einem solch schwerwiegenden Designfehler überhaupt kommen? In den 60er Jahren hat die britische Atombehörde AEA den Kraftwerksbauern ein spezifisches Arrangement der Kerneinbauten vorgeschrieben sowie die Benutzung von Brennelementen aus Urandioxid, um so die Gewinnung von Plutonium zu erleichtern. D.h., weil die AEA aus militärischen Gründen ein Interesse an der Wiederaufbereitung hatte, wählten sie für die Brennelemente ein Material, das sich dann mit dem Design der AGRs nicht vertrug, weil das zur Kühlung zirkulierende Gas die 30 Meter langen Brennelemente in Schwingungen versetzt. Aber auch bei der Wiederaufbereitung der Oxid– Brennelemente gab es eine Panne. Seit der Explosion in der Wiederaufbereitungsanlage von Sellafield im Jahre 1974 können diese Brennelemente erst frühestens 1993 nach Inbetriebnahme der dort im Bau befindlichen neuen WAA wiederaufbereitet werden. Wurde denn je Plutonium aus den AGRs gewonnen? Nicht aus den AGRs, aber es war vermutlich geplant. Und mittlerweile ist ja auch zugegeben worden, daß bis 1969 zumindestens andernorts Plutonium aus zivilen Anlagen für militärische Zwecke eingesetzt worden ist. Entpuppt sich die Aufsichtsbehörde NII nicht durch ihr jahrelanges Schweigen über den Konstruktionsfehler erneut als Komplizin der Atomindustrie? Ich finde es wirklich alarmierend, daß das NII zwölf Jahre lang auf diesem Problem sitzen konnte, ohne daß wir davon wußten. Die Aufsichtsbehörde spielt damit eine politische Rolle, indem sie sagt, das geht die Öffentlichkeit nichts an. Interview: Rolf Paasch
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