: Freizeitspaß mit der Colonia Dignidad
■ Deutsche Kolonie in Chile betreibt Freizeitpark „Casino Familiar“ / In „Bayern–Dorf“ ist hinter Stacheldraht alles picobello sauber und hygienisch rein / Deutschstämmige und Chilenen vergnügen sich mit Eisbein und Sauerkraut
Aus Bulnes Gaby Weber
Bei Bulnes verläßt man die Panamericana, biegt in die Landstraße ein und fährt noch fünf Kilometer über einen staubigen Schotterweg, rechts und links ab und zu ein armseliges Bauernhaus. Am Ende des Weges taucht wie ein Phönix aus der Asche das „Casino familiar“ auf, groß, gepflegt und imposant. Der Freizeitpark liegt 15 Autominuten von Bulnes entfernt, 430 Kilometer südlich von Santiago und eine Stunde von der Colonia Dignidad, die das Casino betreibt. Dieses hat in den letzten Tagen häufiger als sonst Besuch gekriegt. Denn gerade ist ein fünftägiger Ortstermin in der Colonia zu Ende gegangen. Eine chilenische Richterin inspizierte die Kolonie, wo unter dem Sektenführer Paul Schäfer etwa 300 Deutsche eingesperrt leben. Im Februar hatten geflüchtete Mitglieder der Siedlung vor einem Bundestagsausschuß über Mißhandlungen, Gehirnwäsche und Arbeitszwang berichtet. Doch die Aufgabe der Richterin bestand nicht darin, die heutigen Zustände in der Siedlung zu untersuchen, sondern der Frage nachzugehen, ob Mitte der siebziger Jahre dort Chilenen gefoltert worden sind. Dies hatte 1977 die Menschenrechtsorganisation „amnesty international“ (ai) behauptet, woraufhin die Colonia Dignidad vor dem Bonner Landgericht auf Unterlassung geklagt hatte. Elf Jahre danach wurde nun die chilenische Justiz im Rahmen eines Rechtshil feersuchens tätig. Maximo Pacheco, der ai vertritt, begleitete die Richterin bei ihrer Inspektionsreise. In einer Pressekonferenz erklärte der Anwalt, die Ortsbegehung habe erwiesen, daß die chilenischen Zeugen, die vor der deutschen Justiz ausgesagt hatten, das Lager von innen gesehen haben müssen. Die Zeugen hatten behauptet, im Lager gefoltert worden zu sein. Auch das „Casino familiar“ wurde von der Richterin inspiziert. Juristisch Verwertbares dürfte sie nicht entdeckt haben. Links vor dem Eingang der Landeplatz für Hubschrauber und Kleinfahrzeuge, denn auch hohe Staatsgäste, darunter Pinochet höchstpersönlich, haben sich schon die Ehre gegeben. Das Vergnügungsgelände nach deutscher Art ist von einem hohen Zaun umgeben, obendrüber Stacheldraht. Über dem Tor lädt ein blau–weißes Schild ein: „Bienvenido“, Willkommen im Bayern–Dorf, darüber prangt ein übergroßes Wappen des Freistaates. Hier ist alles picobello und hygienisch rein, vom Rasen bis zum Klo. Unter einer Art Münchner Olympiazelt wird Spiel und Körperertüchtigung angeboten. Aber auf dem Karussell sitzen keine Kinder, die Tischtennisplatten stehen unberührt in einer Ecke, der Springbrunnen plätschert ohne Störungen vor sich hin, ein Teich mit Inselchen in der Mitte und blütenweißen Schwänen am Rand erinnert an ein trauriges Märchen, in dem eine böse Zauberin die Menschen in Riesen verwandelt hat, die stumm an den Wegrändern die bayerische Idylle abrunden. Baden am nahegelegenen Flußufer ist im Bikini verboten, ebenso wie Minirock und all dieser moderne, aufreizende Tand. Auch Fotografieren - so die Hinweisschilder - ist untersagt. Hinter Glaskästen ist die Geschichte der „Kolonie der Würde“ beschrieben, die Aufbauleistungen in der Landwirtschaft, der Krankenpflege und das Schulsystem: Leistungen, kein Zweifel, die auf harter Arbeit beruhen. Im „Casino familiar“ herrscht nur im Restaurant Hochbetrieb: Viele Deutschstämmige gehen hier ein und aus, aber auch unter den Chilenen aus der Gegend gilt die Kü che der altmodischen Deutschen als Tip, gut und billig zugleich. An der Wand hängen Farbposter aus Bayern. Es bedienen zwei ältere bezopfte Frauen, mit gestärkter Schürze und grobem Schuhwerk, Typ Kleidersammlung. Die Kellner tragen weiße Jackets und schwarze Hosen und bemühen sich zwanghaft um Freundlichkeit. Die Speisekarte ist auf Deutsch und Spanisch. Es gibt Mettwürstchen, Kartoffelsalat, Aufschnittplatten mit Lachsschinken, Leberwurst und Bierwurst, Kassler und das unverzichtbare Eisbein mit Sauerkraut. Die Spezialitäten des Hauses sind an der Kuchentheke zu bewundern, Mokkatorte, Frankfurter Kranz, Obstkuchen und Nußecken. Deutsches Bier wird angeboten, aber nur zum Essen. Am Tresen mit der elektronischen Kasse sind die unverzichtbaren Utensilien der deutschen kulinarischen Kultur zu erwerben: Maggi und Tütensuppen - aber auch die Produkte der Colonia Dignidad: Andenhonig, Schwarzbrot, hausgemachtes Marzipan. Die Kolonie ist bis auf den Bezug von Reis, Kaffee und Salz völlig autark; alles, was im Casino verbraucht und auch in zahlreichen Läden in Chile verkauft wird, stammt aus eigener Produktion, aus der Käserei, der Wurstküche, der Honigschleuder und der Ölpresse. Ein üppiges Mittagessen, z.B. Hase mit Rotkraut, naturtrüber Apfelsaft und echter Bohnenkaffee, ist für etwa fünf Mark zu haben. Mit den Billigpreisen soll der Nachbarschaft ein positives Bild der deutschen Kolonie vermittelt werden, und da die Kolonie–Bewohner nur für Gottes Lohn täglich 16 Stunden schaffen, sind die Personalkosten minimal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen