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Die Realität wartet

Daß die SPD ihren sensationellen Wahlerfolg mit leichter Dämpfung bejubelt und sich prompt warnende Stimmen vor den „Riesenerwartungen“ einmischten, ist leicht nachzuvollziehen. „Vielleicht werdet ihr, die ihr uns jetzt zujubelt, in einem Jahr vor dem Landeshaus gegen uns demonstrieren, weil euch alles viel zu langsam geht.“ Das erklärte Björn Engholm gleich vorsichtshalber vor einem 5000köpfigen Publi kum. Das ist mehr als die übliche Realismus–Predigt eines Wahlsiegers. Die Probleme sind so bekannt, das sie nicht einmal richtiger Streitpunkt im Wahlkampf waren: die schwere Strukturkrise und die verschuldete Landeskasse. Zudem muß mit dem bereits verabschiedeten Haushalt regiert werden. Mit den Wahlsieg kommt aber hinzu, daß nunmehr alle Bundesländer mit strukturpolitischen Problemen in SPD–Hand sind und das heißt gerade nicht, daß die lobbyistische Macht im Kampf um Subventionen stärker sein wird. Um Zukunftsindustrien soll geworben werden. Aber welche Region in einer Strukturkrise beschwört nicht Zukunftsindust rien. In dem Haushalt sind ohnehin keine Mittel, um in dieser Richtung Signale zu setzen. Außerdem wird es aktuell nicht um Strukturveränderung sondern um Strukturerhalt gehen. Gerade die Subventionierung der Werftindustrie war bislang unlöslich mit dem Rüstungsexport verbunden. Hier darf sich die Regierung Engholm auf interessante Interessenkonflikte zwischen Arbeitsplatzsicherung und politischer Moral vorbereiten. Nach der Wahl deuteten die Sozialdemokraten ähnlich verhalten an, daß die SPD nun zur „Volkspartei“ geworden sei. Faktisch richtig daran ist, daß alle Schichten den SPD–Sieg tragen. Aber was an diesem Erfolg nun „Wählerauftrag“ und was der „Barschel–Effekt“ sei, wurde vorsichtshalber nicht definiert. Ungewöhnlich nach einem Sieg. Üblicherweise beeilen sich Politiker, sofort den „Wählerauftrag“ zu benennen. Tatsächlich ist die SPD nicht als Volkspartei in den Wahlkampf gegangen, sondern als Bündnis einer traditionellen Linkspartei mit einer Modernisierungsfraktion. Auch die Modernisierung hat Engholm gewissermaßen haushaltsunspezifisch angelegt, d.h. in solchen Bereichen wie der politischen Kultur, die ihm bis zum Wahltag niemand streitig machte. Ein Signal wird aber erwartet, und an diesem Punkt zeigten sich schon Haarrisse: der Ausstieg aus der Atomkraft. Während der designierte Energieminister Jansen ihn auf das Jahr 1990 datierte, spricht engholm von einer Acht– Jahres–Frist. Während Engholm die atomrechtlichen Fragen klären will, um dann eventuell abzuschalten, neigt Jansen offenbar eher zu einer umgekehrten Vorgehensweise. Dennoch: es scheint zunächst, daß die ökologische Fraktion im Kabinett Gewicht hat. Der linke Jansen wird unterstützt durch den parteilosen Umweltminister Heydemann, der seine Sympathien für die Grünen durchaus öffentlich macht. Überhaupt präsentiert Engholm ein Kabinett, daß geradezu stromlinienförmig fortschrittlichen Ansprüchen entspricht. Mit vier Frauen im Kabinett wird fast ein Bruch mit der bisherigen Männerpolitik signalisiert. Die ehemalige Chefin der Leitstelle zur Gleichstellung der Frauen in Hamburg, Eva Rühmkorf, übernimmt das Bildungsressort; Heide Simonis die Finanzen und Gisela Böhrk das Bundesratsministerium. Hinzukommt kommt die Frauenministerin Tidik. Interessant ist, daß offenbar die Verhandlungsroutine mit dem Bund in die Hände der Frauen gelegt worden ist. auf den Innenminister Bull allerdings darf man gespannt sein. Als Datenschutzbeauftragter blieb er seinerzeit blaß und zeichnete sich kaum durch Durchsetzungsfähigkeit aus. Überhaupt fragt man sich nach dieser Wahl, wie Engholm mit dem schwarzen Regierungsapparat fertig werden will. Sofort nach der Wahl beeilte er sich, seinen Glauben an das „preußische Beamtentum“ zu verkünden. Natürlich kann in einem verschuldeten Bundesland ein Ministerpräsident nicht massenhaft einstweilige Ruhestände verantworten. Es ist offensichtlich, daß die SPD kein Rezept hat und deswegen Loyalität einklagt. Allein die Bildungsministerin sprach andeutungsweise davon, daß die Beamten ja auch „rotieren“ könnten. Klaus Hartung

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