Militärärzte greifen nach Zivilmedizin

■ Militärarzt fordert Dienstpflicht für Ärzte und Umstrukturierung des Zivildienstes / Kriegsdienstverweigerer sollen Reservisten–Status mit Übungspflicht erhalten / Hardthöhe sieht darin „Grundlage weiterer Überlegungen“ / Bundesweiter KDV–Kongreß gegen Militarisierung

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Im Verteidigungsministerium wird das Modell eines „koordinierten Sanitätsdienstes“ diskutiert, das mit Blick auf den nächsten Krieg eine weitgehende Verzahnung von Zivil– und Militärmedizin fordert. Kriegsdienstverweigerer sollen nach diesem Modell in Ausbildung und Dienstzeit den Wehrdienstleistenden gleichgestellt werden - das heißt eine kasernierte dreimonatige Grundausbildung durchlaufen und nach Ableisten des Zivildienstes den Status eines Reservisten mit Übungspflicht bekommen. Der Vorschlag vom „koordinierten Sanitätsdienst“ wurde kürzlich in der halb– offiziellen Wehrmedizinischen Monatsschrift veröffentlicht - ein Fachblatt, das in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium herausgegeben wird und gleichzeitig „Organ des Sanitäts– und Gesundheitswesens der Bundeswehr“ ist. Das von Oberfeldarzt Dr. Reinhold Schultze, Chefarzt in Siegen, ausgearbeitete Modell war bereits früher Gegenstand einer internen Anhörung im Verteidigungsausschuß und wurde im vergangenen Jahr der Führungsakademie der Bundeswehr vorgetragen. Die Veröffentlichung zum jetzigen Zeitpunkt ist nicht zufällig: Seit Monaten ist der Entwurf eines neuen Zivilschutzgesetzes aus dem Hause Zimmermann in der internen Diskussion; bisher stößt sich der Koalitionspartner FDP an der darin vorgesehenen Dienstpflicht im Zivilschutz sowie an einem geplanten Bunkerbau–Zwang auch für private Wohnhäuser. Ein überarbeiteter Referentenentwurf des Innenministeriums soll in diesen Tagen den Hilfsorganisationen zugehen. Da der atomare Schlagabtausch „sanitätsdienstlich nicht beherrschbar“ ist, verweist Wehrmediziner Schultze auf den Massenanfall von Verletzten in einem konventionellen Krieg. Darauf sei das zivile Gesundheitswesen nicht vorbereitet - die Militär–Lazarette würden sicherlich von „hilfesuchenden Zivilpersonen überschwemmt und blockiert“ werden. Die Planung im Gesundheitswesen müsse auf eine enge zivil– militärische Zusammenfassung aller vorhandenen Kapazitäten ausgerichtet werden. Da nach 40jähriger Friedenszeit der „Erfahrungsschatz“ aus dem letzten Krieg verloren gegangen sei, fordert Schultze eine Änderung der Approbationsordnung der Mediziner: Sie müßten sechs Monate lang in dieser Notstands– Medizin ausgebildet werden. Da anders das Personalproblem nicht zu lösen sei, dürfe auch eine Dienstverpflichtung für alle Ärzte und das medizinische Assistenzpersonal „kein Tabu“ sein. In die Ausrichtung des Gesundheitswesens für Kriegszwecke sollen die zivilen Rettungsorganisationen „eng eingebunden“ werden. Dafür sei eine „andere Sicht“ der Zivildienstleistenden nötig, die als „Personalreserve“ für die Versorgung der Opfer militärischer Auseinandersetzungen zur Verfügung stehen müßten. Als „ZDL der Reserve“ sollen KDVler zu regelmäßigen Übungen eingezogen werden. Auch „Frauen ließen sich verstärkt in ein solches Konzept einbinden“. Daß es sich bei diesem Modell nicht um abstruse Vorstellungen eines Außenseiters handelt, beweist eine beigefügte Stellungnahme des Verteidigungsministers: „Die aufgezeigten grundsätzlichen Möglichkeiten sind geeignet, Grundlagen weiterer Überlegungen zu bilden“, heißt es darin. In der Vergangenheit sind diverse Anläufe, per Gesetz die „Gesundheitssicherstellung“ für den Krieg zu regeln, nicht zuletzt am Protest der Hilfsverbände und der Fach–Öffentlichkeit gescheitert. Daß der Drang der Wehrmediziner nach Einflußnahme auf das Gesundheitswesen aber ungebrochen ist, zeigt dieses Extrem–Modell. Mit der fortschreitenden Einbeziehung von Zivildienst und Gesundheitswesen in die sogenannte „Gesamtverteidigung“ befaßt sich am Wochenende ein Kongreß in Frankfurt unter dem Motto „Gegen Militarisierung - Kriegsdienste verweigern“. Veranstalter dieses ersten bundesweiten KDV–Kongresses seit 1970 sind die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG/VK), die Selbstorganisation der Zivildienstleistenden und die Grünen.