: Ausländer: Autofahrer zweiter Klasse
■ Vor dem Bundesverwaltungsgericht wollen die Versicherungen eine höhere Kfz–Haftpflicht erstreiten / Wer den falschen Paß hat, für den soll das Autofahren um die Hälfte teurer werden / Von Vera Gaserow
Der Anlaß scheint unbedeutend und hat mit Politik nichts zu tun. Schließlich geht es ja „nur“ ums Geld: Vor dem Bundesverwaltungsgericht wollen die Kfz–Versicherer einen höheren Beitragssatz für Ausländer erstreiten. Hartnäckig verfolgen die Versicherungskonzerne seit mehreren Jahren dieses Ziel. In der Praxis haben sie häufig Ausländer, die sie den sogenannten „Gastarbeiternationalitäten“ zuordnen, schon in der Vergangenheit mit Tricks in einen zermürbenden Kleinkrieg gedrängt. Ein Beispiel einfußreicher Unternehmen. Für die Berliner Ausländerbeauftragte John ein Versuch, der verheerende politische Folgen hätte. Die bisherigen Integrationsbemühungen würden durch ein Zwei–Klassen–Versicherungsrecht unterlaufen.
Mit „politischen und moralischen Bewertungen“ habe das ganze rein gar nichts zu tun. Da ist sich Peter Gauly, Sprecher des HUK–Verbandes der Haftpflichtversicherer ganz sicher. Was für Herrn Gauly ganz unpolitisch ist und einzig „eine saubere ökonomische Lösung“ darstellt, ist für einen Berliner Versicherungskaufmann eine „reine Diskriminierungsgeschichte, eine Sauerei“. Die Rede ist von einem Rechtsstreit, der am Dienstag nächster Woche auf höchster Ebene beim Bundesverwaltungsgericht entschieden werden soll und der die Autofahrernation von einem Tag auf den anderen in mehrere Klassen aufteilen könnte. Geben nämlich die Bundesrichter den Klägern recht, dann wird in Zukunft das Autofahren für Ausländer teurer. Je nach Nationalität, so wollen es die sechs größten bundesdeutschen Versicherungsunternehmen gerichtlich erkämpfen, sollen Türken 50, Jugoslawen 23 und Griechen 20 Prozent mehr Haftpflicht für ihr Auto zahlen. Falscher Paß als subjektives Risikomerkmal Was türkische Autofahrer bis zu 1.000 Mark mehr im Jahr kosten könnte als ihre deutschen (Stau)– Nachbarn, hat eine lange Vorgeschichte, die sich oberflächlich gesehen allein ums Geld dreht: Vor genau fünf Jahren wagten die Autoversicherer ihren ersten Vorstoß. Beim zuständigen Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen stellten sie einen Genehmigungsantrag für einen gestaffelten Ausländertarif. Dabei sollten alle Ausländer, speziell die sogenannten Gastarbeiter–Nationalitäten, einen generellen Aufschlag bis zu 50 Prozent zahlen. Bestimmte Ausländergruppen hätten deutlich über dem „Marktdurchschnitt“ liegende Schadensverläufe, hatten die Versicherungskonzerne ausgeführt, die Zugehö rigkeit zu bestimmten Nationalitäten stelle ein „subjektives Risikomerkmal im Sinne der Tarifverordnung dar“. Zu deutsch: Türken, Jugoslawen und Griechen verursachen mehr und teurere Blechschäden und sind den Versicherern schlicht zu teuer. Da aber bei Autofahrern ein gesetzlicher Versicherungszwang besteht, dürfen die Unternehmen im Prinzip niemanden ablehnen. In der Praxis versuchen etliche Agenturen jedoch immer wieder, Ausländer abzuwimmeln, und bei der Ausländerbeauftragten in Bonn belegen etliche Beschwerdebriefe, daß „Gastarbeitern“ unter der Hand höhere Prämien abverlangt wurden. Und auch ein anderer - allerdings legaler - Trick ist gang und gäbe. Ausländer der sogenannten Gastarbeiter–Nationen bekommen nur eine Minimalversicherung mit einer niedrigen Schadensdeckungssumme, und Zusatzleistungen wie Teil– oder Vollkaskoversicherungen werden ihnen in der Regel pauschal verweigert. Rätseln um Unfallhäufigkeit dauert an Statistisch gesehen sind die Klagen der Versicherer über die hohe Unfallhäufigkeit bestimmter Nationalitäten nur schwer von der Hand zu weisen. Tatsächlich liegt die Schadenssumme, die für Autofahrer türkischer Nationalität aufgewandt werden muß, seit gut acht Jahren zwischen 42 und 60 Prozent über dem Durchschnitt. Bei Jugoslawen schwankt diese Zahl zwischen 8 und knapp 24 Prozent. Woran das liegt und warum die Zahl von Jahr zu Jahr mal hoch, mal runter geht, dafür haben die Versicherer keine schlüssige Antwort, und auch im Bundesverkehrsministerium hat man das Rätseln über dieses bedenkliche „Phänomen“ längst aufgegeben. Eine Projektgruppe Unfallforschung, die speziell die Unfallursachen bei ausländischen Ver kehrsteilnehmern ergründen sollte, hat vor neun Jahren ihre Arbeit eingestellt. Von Veranlagung oder Mentalität spricht man bei den Versicherungsgesellschaften nicht gern, statt dessen bietet man u.a. die häufigen „Familienheimfahrten in Balkanländer“ als nationalitätenspezifisches Unfall–Risiko an. Außerdem - die anatolische Großfamilie läßt grüßen - würden die Fahrzeuge bestimmter Ausländergruppen gemeinsam von mehreren Personen genutzt, was die Unfallgefahr auch erhöhe. Bedenken wegen Ausländertarif - Bundesaufsichtsamt lehnte ab Das Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen war da ganz anderer Meinung. Der überdurchschnittliche Schadensbedarf bestimmter ausländischer Versicherungsnehmer beruhe nicht auf der „Ausländereigenschaft des Versicherungsnehmers“, sondern bestenfalls auf „einem vom Durchschnitt abweichenden Gebrauch der Fahrzeuge ... Die Staatsangehörigkeit als solche ist deshalb zur Verwendung als subjektives Gefahrenmerkmal ... nicht geeignet“, beschied das Berliner Aufsichtsamt den Versicherungskonzernen schon 1984 und lehnte kurze Zeit später auch deren Einspruch gegen diesen Negativbescheid ab. Überdies, so sorgte sich das Aufsichtsamt, würde durch diesen bisher einmaligen Beitragszuschlag für Ausländer ein „Präzedenzfall geschaffen, der dem Ansehen der Bundesrepublik im westlichen Ausland erheblichen Schaden zufügen kann“. Es sei auch nicht auszuschließen, daß ein solcher Ausländertarif gegen das Diskriminierungsverbot der Genfer Menschenrechtskonvention verstoße. Keine politischen Motive? Doch von solchen Diskriminierungsansinnen wollen die Versicherungsunternehmen nichts wissen. Daß sie seit Jahren hartnäckig für einen Ausländertarif kämpfen und jetzt das Bundesverwaltungsgericht gegen die Entscheidungen das Bundesaufsichtsamt bemühen wollen, habe allein mit Geld und Gerechtigkeitsgefühl gegenüber den anderen (deutschen) Versicherten zu tun. Innerhalb der Versichertengemeinschaft gibt es jedoch ansonsten bis auf eine schon fast kuriose Ausnahme keine Sondertarife: Diese Ausnahme sind die Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes, die wegen eines Konkurrenzgerangels der Versicherungsunternehmen untereinander von Alters her eine historisch gewachsene, 15 Prozent günstigere Prämie zahlen. Wenn man schon Gruppentarife einführt, warum keine speziellen Tarife für Frauen, die doch weniger schwere Unfälle verursachen? Nein, meint Herr Gauly vom HUK–Verband, das sei unpraktikabel, weil dann alle Männer ihre Autos auf die Gattin anmelden würden. Außerdem sei ja das Auto versichert, nicht die Person des Halters. Ob Ausländer keine Personen seien? Aber sicher. Und warum plant man keine Sondertarife für Jugendliche, die nachgewiesenermaßen mindestens ebenso viele Unfälle verursachen wie Ausländer? Ja, im Prinzip müßte diese Gruppe auch mindestens 250 Prozent Prämie zahlen, „aber das“, meint Herr Gauly, der sich bei dem Ausländertarif so vehement gegen politische Motive verwahrt hatte, „ist politisch einfach nicht durchsetzbar“.
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