„Wer Reue zeigt, wird amnestiert“

■ Gulbudin Hekmatyar, Chef der radikal–fundamentalistischen Widerstandsgruppe „Hesb–e Islami“ und derzeitiger Sprecher des islamischen Widerstands tritt für eine gewählte islamische Regierung in einem blockfreien Afghanistan ein / Ob Frauen wählen dürfen, wird später entschieden / Mit Hekmatyar sprach Ahmed Taheri

taz: Herr Hekmatyar, als Chef eiHekmatyar: Von unserem Standpunkt aus ist das Genfer Abkommen unvollkommen, undurchführbar und mithin unannehmbar. Denn mit diesem Abkommen wird weder der Krieg beendet noch können die Millionen Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren. Wir haben stets gegen die Genfer Gespräche protestiert, und unser Protest besteht nach wie vor. In Genf haben nicht die eigentlichen Konfliktparteien, wir und die Russen, miteinander verhandelt, sondern nur diejenigen, die am Rande mit dem afghanischen Problem zu tun haben. Das gläubige afghanische Volk war in Genf nicht vertreten. Und keiner der Teilnehmer dort war unser Vormund, Anwalt oder Sprecher. So fühlen wir uns an die Verhandlungen und deren Ergebnisse nicht gebunden. Sie sagen, das Abkommen ist unvollkommen; was meinen Sie damit? Das Abkommen garantiert in keiner Weise den bedingungslosen und sofortigen Abzug der sowjetischen Truppen, obwohl alle Resolutionen der UNO sowie der Islamischen Konferenz und der Organisation der blockfreien Länder dies stets gefordert haben: den bedingungslosen und sofortigen Abzug der Sowjets und das Selbstbestimmungsrecht für das afghanische Volk. Wir sehen aber, daß der Abzug der Sowjets neun Monate lang dauern und in Etappen vonstatten gehen soll. Außerdem soll das Marionettenregime von Kabul, das uns kraft sowjetischer Panzer beschert wurde, weiterhin bestehen bleiben. Und schließlich wird das Abkommen von unserem Feind unterzeichnet und nicht von uns selbst. Wie sollte der sowjetische Abzug Ihrer Meinung nach vonstatWenn der etappenmäßige Abzug logistische Gründe haben sollte, wie behauptet wird, dann hätte eine unparteiische militärische Kommission darüber entscheiden müssen, wie lange die Sowjetunion für den Abzug ihrer Truppen benötigt. Die Russen verfolgen aber politische Ziele. Sie sollen während ihres Abzugs das Kabuler Regime so weit wie möglich stabilisieren. Aber Pakistan, der Helfer und Schutzherr des afghanischen WiFragen Sie bitte die Pakistanis selbst. In Pakistan leben drei Millionen afghanische Flüchtlinge, und die Mudjahedin operieren von PaWir sind sicher, daß es zwischen uns und den pakistanischen Brüdern niemals zum Streit kommen wird. Die pakistanische Regierung hat stets erklärt, daß sie zu keiner Zeit und unter keinen Umständen die Mudjahedin in der Kampfarena alleine lassen würde. Haben die Pakistani die Mudjahedin wegen des Genfer AbkomPakistan wird niemals versuchen, auf uns Druck auszuüben. Gesetzt den Fall, daß sie dies versuchen, würden die Mudjahedin sich nicht beugen. Man fragt sich im Ausland, warum die vor einem Monat gebilWir haben die provisorische Regierung gebildet, damit künftige Machtkämpfe verhindert werden. Wir wollen dem Volke die Sicherheit geben, daß der Machtwechsel auf friedlichem Wege und durch allgemeine Wahlen stattfindet. Die provisorische Regierung wird sich bald in einem der befreiten Gebiete Afghanistans konstituieren. Sie sorgt nach dem Abzug der Sowjets für allgemeine Wahlen, aus denen die gewählte Regierung hervorgeht. Damit waren alle Parteien einverstanden. Dürfen die Frauen sich auch an den Wahlen beteiligen? Lassen Sie uns erst die freien Wahlen erkämpfen, dann werden wir darüber entscheiden, wer alles an diesen Wahlen teilnehmen darf. Sie sprachen aber eben über Ahmad Schah. Was ihn betrifft, so bin ich nicht Ihrer Meinung. Er steht seit langem im Djihad (Heiliger Krieg, d.Red.), und die Tatsache, daß alle sieben Parteien ihn nominiert haben, beweist zur Genüge sein Ansehen. Drei moderate Parteien hatten aber ihre eigenen Kandidaten. Vier Organisationen nominierten Ahmad Schah. Drei andere akzeptierten ihn letztendlich. Unter dem Druck der Pakistani oder der Saudis? Das ist Propaganda unserer Feinde im Ausland. Warum wurde der Chef der provisorischen Regierung nicht von der Loya Djurge (der traditionel len afghanischen VolksversammDie Allianz der sieben Parteien hat anders entschieden. Und die Bildung der provisorischen Regierung zeigt, daß die Loya Djurge nicht mehr aktuell ist. Hätten Sie Bedenken, daß die Loya Djurge vielleicht für den früZahir Schah gehört nicht zum islamischen Widerstand. Er hat in all den Jahren in Rom gelebt, ohne sich um das Leid der Afghanen zu kümmern. Unter seiner korrupten Regierung öffnete er den Kommunisten Tür und Tor. Das afghanische Volk wird ihn nie als Führer akzeptieren. Es gibt aber andere Einschätzungen. Das ist russische Propaganda, um uns zu spalten. Die Sowjets beginnen am 15.Mai mit dem Abzug ihrer TrupSolange die Sowjets noch in Afghanistan sind, geht der Kampf freilich weiter. Nach dem Abzug jedoch endet der Krieg, denn das Regime von Nadjib hat nicht die Kraft, auch nur für wenige Tage den Mudjahedin Widerstand zu leisten. Es ist eine stürzende Mauer; noch hält sie die sowjetische Stütze aufrecht. Fällt die Stütze weg, so stürzt die Mauer in sich zusammen. Nach oder während des sowjetischen Abzugs? Mit dem Abzug endet der Krieg. Wird die afghanische Armee zu den Mudjahedin überlaufen, wie die iranische Armee zu Zeiten der Islamischen Revolution? Es gibt keine afghanische Armee. Die Russen haben gegen uns gekämpft. Und so lange noch ein Russe auf afghanischem Boden steht, wird der Krieg anhalten. Vor kurzem wurde in Nord–Afghanistan, nahe der sowjetischen Grenze, eine neue Provinz geleicht dort verschanzen, falls die Mudjahedin in Kabul einmarNein, ich glaube nicht. Mit Sarpol will das Regime nur die Verwaltung erweitern und neue Posten schaffen, um sich einige neue Anhänger einzukaufen. Wenn wir erst die Hälfte Afghanistans haben und dazu die Flughäfen, kann sich Nadjib nirgendwo verkriechen. Wenn die Mudjahedin in Kabul sitzen, welche Regierungsform wird Afghanistan dann haben? Wir wollen ein freies, unabhängiges, nicht blockgebundenes Afghanistan mit einer gewählten islamischen Regierung, die im Dienste des Volkes steht. Und wir wollen mit allen Ländern der Welt, namentlich aber mit unseren Nachbarn, gute Beziehungen haben, vorausgesetzt, sie mischen sich nicht in unsere Angelegenheiten ein. Auch mit der Sowjetunion? Wenn Sie uns in Ruhe lassen, sicher. Was wollen Sie für eine islamische Regierung, eine Regierung wie die der Ayatollahs im Iran? Es gibt nur eine einzige Form des islamischen Staates, denn es gibt nur einen einzigen Islam. Die Wege sind verschieden, das Ziel ist jedoch das gleiche. Es gibt entweder einen islamischen oder einen nicht–islamischen Staat. Dazwischen gibt es nichts. Was die iranische Regierung betrifft, so haben wir für unsere Zukunft keine Vorbilder. Das einzige Vorbild ist der Islam selbst. Wird die islamische Regierung an den Kommunisten Blutrache nehmen? Diejenigen, die der Vergangenheit abschwören, Reue zeigen und zum Volke und zum Islam zurückkehren, werden amnestiert. Das haben wir bereits mehrfach verkündet. Wann geben Sie uns in Kabul ein Interview, Herr Hekmatyar? (mit verklärtem Lächeln) In Kabul? Vielleicht nächstes Frühjahr - Inch–Allah! Inch–Allah! Wir danken Ihnen für das Gespräch.