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Demonstration am Strand

Als der etwa 1.000–köpfige Demonstrationszug gegen 20.30 Uhr endlich den Tagungsort, das monströse 35–stöckige Hotel Maritim am Strand von Travemünde, erreichte, trauten selbst begleitende Polizisten kaum ihren Augen: Auf den ausgesprochen gutgelaunten Haufen - Motto: „Strahlend begrüßt Lübeck die Atommafia“ - wartete ein geradezu martialisches Polizeiaufgebot. Die Einsatzleitung für den Schutz der Atomgemeinde hatte ebenfalls im Maritim Unterschlupf gefunden und steuerte von hier aus berittene Polizei, Beamte mit Schäferhunden und in voller Kampfmontur. „Wir sind auf alles vorbereitet, bis hin zu Gewalttätigkeiten wie in der Hafenstraße“, beruhigte schon am Nachmittag einer der Kongreß–Organisatoren Journalisten und Teilnehmer der Tagung. Letztere wurden schriftlich und „herzlich“ gebeten, sich bei eventuellen Störungen während der Veranstaltung nicht provozieren zu lassen. Doch stören konnte höchstens der beträchtliche Geräuschpegel, den die DemonstrantInnen mit Pfeifen und Trompeten, Schiffshörnern und Trommeln bei der Umlagerung des Kongreßzentrums entwickelten. Ein Sprecher der Lübecker Initiative gegen Atomanlagen (Liga), die die Demo organisiert hatte, forderte insbesondere die SPD auf, sich beim angekündigten Atomausstieg nicht auf juristische Auseinandersetzungen zu beschränken. Nur die Verknüpfung mit politischem Druck von unten eröffne die Möglichkeit zum Ausstieg, und dazu gehöre ziviler Ungehorsam. Noch als die Kundgebung begonnen hatte, war unklar, ob der frischgebackene Lübecker Bürgermeister Michael Bouteiller (SPD) tatsächlich, wie angekündigt, auftreten würde. Aber plötzlich war er da und wiederholte vor den Demonstranten, was er morgens dem Atomkongreß dargeboten hatte (siehe Interview). Schlagartig war alles mucksmäuschenstill, die Demonstranten auf der Strandpromenade und (ein zweites Mal) die Atomgemeinde an den offenen Fenstern des Maritim verfolgten aufmerksam die Worte des Bürgermeisters. Nur ein Zwischenrufer erinnerte lautstark an die unter der Verantwortung der Lübecker SPD kürzlich ausgehandelten Atomstrom–Verträge mit der PreAG. „Das ist in der Tat ein Problem“, antwortete Bouteiller und konnte prompt tosendem Beifall verbuchen. Der blieb ihm in der konservativen lokalen Presse erwartungsgemäß versagt. Sie kommentierte den „Mißgriff beim Grußwort“ mit den Worten der beleidigten Atomgemeinde und sorgte sich vielmehr um die Attraktivität der Hansestadt Lübeck als Tagungsort. Auch noch andere Proteste hatte der Atomkongreß im Verlauf des Dienstags provoziert. Am nachmittag sah sich die feinsinnige Sektion der Atomgemeinde anläßlich einer Sightseeing–Tour durch die historische Lübecker Innenstadt einem „radioaktiven Fallout“ aus Konfetti ausgesetzt. Eine himmlische Macht rettete die Gruppe schließlich vor weiterem irdischen Ungemach: Die Besichtigung des Lübecker Doms fand hinter verschlossenen Toren statt. I N T E R V I E W

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