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APFELSINENKISTENPARKETT

■ Sibylle Hofter in der Auto-Galerie im Wedding

APFELSINENKISTENPARKETT

Sibylle Hofter in der Auto-Galerie im Wedding

Neben dem Computervirus gibt es merkwürdigerweise, oder gerade extra, zur Zeit einen Geschichtsvirus. Historikerdebatten, Mittelalterforschungen populär, rückbezogene Wertwendepolitik, 68er-Retrospektiven, Museumsneugründungen, altbackene Häuserfassaden und frischgebackenes Brot nach Großmutterart sollen uns glauben machen, daß wir nicht einfach so vor der Glotze hocken und Kredite aufnehmen, sondern daß das Ganze „eigentlich irgendwie“ in einer zeitlichen Ferne eine Begründung hat. Dieser schöne Schein, der dem dümpelnden Leben wieder eine Aura geben soll, fällt besonders gelungen auf, wenn Restauratoren sich über alte Häuser, Kirchen, Schlösser hermachen und sie mit viel Geld in einen historischen Zustand versetzen, den es wahrscheinlich so nie gegeben hat, und damit dem Gebäude seine individuelle Geschichte rauben. Was bleibt, sind Gemütlichkeiten für blitzschnelle Touristen.

Doch man kann auch Ahnungen von Geschichtlichkeit, Verwirrtheiten erzeugen, die das dumpfe postmoderne Einverständnis boykottieren. In der Auto-Galerie, die von Piotr Nathan und Rolo Jebens geführt wird, zeigt Sibylle Hofter eine Rauminszenierung. Die Künstlerin stellte 1986 bei „Weltbekannt“ in Hamburg aus, inszenierte mit dem Filmer Hellmuth Costard in Köln „Die Audienz der Prinzessin Kanne“ und reiste im letzten Jahr mit einer ziemlich großen und ausgeklügelten Miniaturstadtlandschaft durch Polen. Alle diese Ausstellungen strahlten etwas aus, das der Kunst heute häufig abhanden gekommen ist: Leichtigkeit und Humor.

Im dritten Hinterhof im Wedding betritt man über eine steile Außentreppe einen langgezogenen Fabrikraum, der von einer festlich geschmückten Tafel beherrscht wird. Von der Decke baumeln Kronleuchter mit Kerzen bestückt; auf dem Boden liegen Säcke mit Zwiebeln und Kartoffeln; an den Wänden hängen Stilleben. Man fühlt sich wie in einem Barockschloß und wartet auf das feierliche Eintreten der Herrscher, um endlich an der Tafel Platz zu nehmen und die Hühnerbeine hinter sich zu werfen. Doch da dieser Fall nicht eintritt, beginnt man sich für Details zu interessieren und stellt fest, daß die Kronleuchter, die da so herrlich funkeln, aus simplem Blech gebastelt sind mit einem Schiff als Krone. Die Stilleben mit ihren bekannten Gegenständen wie Messer, Schale, Frucht und Tisch entpuppen sich als Auseinandersetzung mit der Malerei, als Korrespondenz, Spiel und Gegenüber von Formen, Farben, Mustern und Räumlichkeiten. Ein dreiteiliger scheinbarer Hausaltar konfrontiert unsakral drei unterschiedliche Sujets miteinander: Ikone, Stilleben, Porträt. Der Paravant greift Themen der Malerei wieder auf, verfehlt aber seinen Sinn, da die obere Hälfte Durchsichten freigibt.

Eine eigene Abteilung ist ein kleines Zimmer, das man mit großen Filzpantoffeln betreten muß. Der Betonboden ist frisch parkettiert mit Apfelsinenkistenholz; Bücherschrank, Konsole und Spielzeugauto sind aus Dosenblech wie auch die Kaffeemaschine, die neben der Tafel auf der Heizung steht. So setzt Sibylle Hofter durch Fälschungen Geschichten von Dingen frei. Sie täuscht mit armen Materialien Reichtum und mit kleinen Eingriffen große Historie vor, aber nicht als billige Attrappen oder platte Nostalgie. Sibylle Hofter schafft es, einen im besten Sinne poetischen Raum zu erzeugen, der es dem Betrachter ermöglicht, an einem heiteren, klugen und bescheidenen Spiel teilzunehmen.Michael Glasmeier

Auto-Galerie, Wriezener Str. 35, 1-65, bis 4. Juni Fr, Sa und So von 16-19 Uhr und nach Vereinbarung (493 52 71 oder 614 79 28).

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