Umweltkatastrophe im Skagerrak Innerhalb der nächsten Tage könnte der Skagerak totes Gewässer sein / Umweltverschmutzung vermutlich Ursache für katastrophale Algenvergiftung / Besteht Zusammenhang zu dramatischem Robbensterben an der Nordse

Umweltkatastrophe im Skagerrak

Innerhalb der nächsten Tage könnte der Skagerak totes

Gewässer sein / Umweltverschmutzung vermutlich Ursache für katastrophale Algenvergiftung / Besteht Zusammenhang zu

dramatischem Robbensterben an der Nordseeküste? / Greenpeace fordert Maßnahmen

Von G. Köhne und J. Oetting

Bergen/Büsum (taz) - Der Skagerrak, das Meer zwischen Norwegen, Dänemark und Schweden, wird in wenigen Tagen totes Gewässer sein, wenn sich die giftigen Algen in dieser Region weiter vermehren wie bisher. Davon sind norwegische Meereskundler überzeugt. Bei den derzeitigen Wetterbedingungen verdoppelt sich ihren Berechnungen nach täglich die Menge der Algen. Im Osloer Parlament verglichen PolitikerInnen die Bedeutung der Algeninvasion bereits mit der Atomkatastrophe von Tschernobyl.

Entlang der gesamten norwegischen Südküste findet sich bis in 50 Meter Tiefe nichts Lebendes mehr. Ein ähnlich trostloses Bild bietet die schwedische Westküste, wo der Meeresboden mit Fischkadavern übersät ist. In Dänemark hat ein ratloser Krisenstab den landesweiten „Algenalarm“ ausgerufen, während sich vor der Westküste Jütlands immer neue kilometerlange Algenteppiche bilden und mit den Meeresströmungen in das Skagerrak-Becken treiben.

Erfolgversprechende Mittel, die Algen zu bekämpfen, gibt es nicht.

Die norwegische Umweltministerin Sissel Rönbeck nennt die Entwicklung einen „riesigen ökologischen Zusammenbruch“, der zweifellos durch die chemische Verseuchung von Nord- und Ostsee verursacht worden sei. 77.000 Tonnen Stickstoffverbindungen und Phosphate, die jährlich aus den Anrainerstaaten in die Nordsee gekippt werden, bilden die Nahrung für das unnatürlich wuchernde Plankton, in diesem Fall besonders für die nur ein Zehntausendstel Millimeter große, giftige Algenart „Chrysochromulina polyepsis“. Ihre explosionsartige Vermehrung - in einem Liter schwimmen bis zu 30 Millionen Stück - wird von einer für diese Jahreszeit ungewöhnlich hohen Wassertemperatur begünstigt. Auch aus den drei skandinavischen Skagerrak-Ländern fließen gewaltige Mengen algenfördernder Abwässer in die Nordsee. Sie stammen vor allem aus privaten Haushalten oder dem Sickerwasser überdüngter Felder. Norwegens Düngemitteleinleitungen haben sich in den vergangenen fünf Jahren vervierfacht. Die Kloake von 70 Prozent aller Haushalte wird direkt in die Fjorde gespült.

Anfang vergangener Woche glaubten die Biologen noch, daß nur der Zuchtfisch in den norwegi Fortsetzung Seite 2

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Algenvergiftung...

schen Fischfarmen von den hochschwimmenden Algen betroffen sei. Inzwischen sprechen die Wissenschaftler von einer umfassenden Umweltkatastrophe, an deren Ende die Ausrottung von Lachs, Forelle, Dorsch, Makrele und anderen Arten stehen könnte. Viele Fische können zwar vor der Gefahr in sichere Gewässer fliehen, ihr Laich ist jedoch in jedem Fall verloren.

Wo die Algenteppiche hintreiben, ersticken oder vergiften sie alle Wassertiere - die genaue Todesursache ist noch ungeklärt. Die beobachteten Schleimbildungen auf den Kiemen der Fische könnten auch auf einen „Streßtod“ hindeuten.

Für die Lachsbestände in der Region um Bergen hat die Biologin vom Bergenser Meeresforschungsinstitut, Eiliv Lömsled, wenig Trost: „Das kann lange dauern, bis sie wieder zurückkommen können. Einen Monat oder zwei, das weiß keiner“.

Angesichts des trostlosen Zustandes der Nordsee sei der gegenwärtige sicher nicht der letzte ökologische Kollaps vor ihrer Küste. Inwieweit die Algeninvasion in Nord- und Ostsee auch als Ursache für das Seehundsterben an den dänischen und bundesdeutschen Küsten in Frage kommt, ist noch umstritten. NaturschützerInnen an der schleswig-holsteinischen Westküste halten einen Zusammenhang im Gegensatz zu dänischen Wissenschaftlern nicht für ausgeschlossen. Immerhin bildeten die Nordsee-Fische die Nahrungsgrundlage für die Seehunde, erklärten die UmweltschützerInnen. Die dänischen Wissenschaftler halten ein Herpes-Virus für den auslösenden Faktor des Seehundsterbens. Das Virus und ein aufgrund der Umweltgifte in der Nordsee geschwächtes Immunsystem der Tiere sind nach ihrer Auffassung verantwortlich für zumeist tödlich verlaufenden Lungenentzündungen.

An der dänschen Nordseeküste - sie ist durch kein Wattenmeer geschützt - wurden bisher knapp 300 tote Seehunde angetrieben. Auch an den Stränden der nordfriesischen Inseln, die eine Außenküste zur offenen Nordsee haben, wurden am Wochendende tote und todkranke Seehunde gefunden. Auf Sylt wurden etwa 20 verendete Tiere angeschwemmt, auf der Hallig Hooge vier und auf Amrum zwei. Verschont blieben bisher Inseln, die wie Föhr keine offene Außenküste aufweisen, und Nordseebäder am Wattenmeer. Noch lebende Seehunde werden von den Seehundaufzuchtstellen in Büsum und Friedrichskoog aufgenommen.

Unterdessen hat die Umweltorganisation Greenpeace die Behörden aufgefordert, angesichts der „ökologischen Katastrophe“ in Nord- und Ostsee die Verklappung und Verbrennung von Industrieabfällen auf hoher See sofort zu stoppen.