Was ist schlecht an guter Architektur?

■ Chefarzt im Krankenhaus Neukölln prangert zwei Jahre nach Fertigstellung des Neubaues im Fachblatt Bauwelt offensichtliche Planungsmängel und Bausünden an / Star-Architekt Kleihues: Blödeleien u

Was ist schlecht an „guter“ Architektur?

Chefarzt im Krankenhaus Neukölln prangert zwei Jahre nach

Fertigstellung des Neubaues im Fachblatt „Bauwelt“

offensichtliche

Planungsmängel und Bausünden an / Star-Architekt Kleihues: „Blödeleien und Infamien“ / Auch die Krankenhausleitung ist sauer

Der 500-Millionen-Mark-Neubau des Krankenhauses Neukölln an der Rudower Straße weist nach Auffassung Prof. Dr. Joachim Wagners gravierende Mängel in Bau und Technik auf. Mehr als zwei Jahre nach der Fertigstellung des ob seiner Ästhetik hochgelobten Patienten-„Schiffs“ veröffentlichte der Arzt dazu in der Fachzeitschrift „Bauwelt“ architektur-kritische „Betrachungen eines Nutzers“, in der auch der Star-Architekt Josef Paul Kleihues seinen preisgekörnten Entwurf vorstellen durfte.

Schon die räumliche Situation in der Aufnahmestation des Krankenhauses, zu der sich die überwiegend im eigenen Auto oder zu Fuß kommenden Patienten umständlich über einen Aufzug oder eine schmale Treppe bemühen müssen, empfindet Professor Wagner als unzureichend.

Für die Patienten und ihre Angehörigen fehlten eindeutige Wartebereiche und jegliche Übersicht, wohin und an wen man sich wenden müßte. Die von einer gewächshausähnlichen Glaskonstruktion überdachte zentrale Halle des neuen Hauses hat den Beobachtungen des Chefarztes zufolge gleich mehrere Mängel, da von hier alle wesentlichen Funktionsbereiche abgingen. Deren hervorstechendster: Es fänden massenhaft und ständig Begegnungen zwischen Kranken und Besuchern statt.

„Ein recht unglückliches Ergebnis eines Neubaues“, bemerkt Wagner. „Ein Besucher möchte seinen kranken Angehörigen besuchen, jedoch bei einer solchen Gelegenheit nicht unbedingt mit fremdem Leid hautnah in Kontakt kommen.“

„Die alptraumhafte Situation vieler Krankenhäuser, in denen sich der Kranke in der Nische irgendeines Patientenflures vergessen vorkommt oder in der er tatsächlich schlicht vergessen wird, dürfte hier nie eintreten“, halten dem die Architekten Kleihues und König in ihren insgesamt 38 Erwiderungen entgegen.

Mit dieser Konzeption, die einen bewußten „Verzicht auf ein Dogma des Krankenhausbaues“ beinhalte, habe man durch die geschaffene räumliche Nähe von Patienten und Besuchern geradezu einen „sozialen Anspruch“ erfüllen können. „Doch diese laienhafte Soziologisierung der selbstgestrickten, subjektivistischen Planungstheorien zielt in geradezu verhängnisvoller Weise an der sozialen Wirklichkeit vorbei...“, kommentiert diesen Ansatz in derselben Ausgabe der Fachzeitschrift ein Berufskollege.

„Bestaunt von unbeteiligten Besuchern“ müßten selbst zu reanimierende Patienten in ein und derselben Kabine des Aufzugs fahren, um zur Intensivstation zu gelangen, kritisiert der Chefarzt im gleichen Zusammenhang. Einige weitere der zahlreichen Punkte seines Anstoßes: Alle Funktionsbereiche auch außerhalb der Aufnahme seien ohne natürliches Licht, die Stationen mit 38 Betten unter Humanitätsmaßstäben viel zu groß, zudem müßten durch die Trennung von Funktions-/Operationsbereichen einerseits und stationären Bereichen andererseits sehr lange Transportwege für die Patienten in Kauf genommen werden.

Auf das Konto einer teilweise schlampigen Bauausführung verbucht der Professor undichte Fenster, defekte automatishe Türöffner und eine „vergessene“ Desinfaktionsanlage. Sein Resümee: Heute müßte ein derartiges Großkrankenhaus „in vielen Dingen anders konzipiert“ sein.

Ein „verlorener Sohn der Architektur“, ein blutiger Laie also, habe da zur Feder gegriffen, goß dafür der Bundesverdienstkreuz-träger Kleihues in einem Vorwort zu dem Leserbrief Hohn und Spott über den Chefarzt aus. Während die Redaktion der „Bauwelt“ in der Kontroverse den „Beginn einer immer vernünftiger werdenden Unterhaltung“ zu der Frage, ob überhaupt der Aufgabe eines Krankenhauses mit den Mitteln der Architektur beizukommen ist, sieht, vermochte der Genius bei den Interisten nur unerhebliche „Blödeleien und Infamien“ zu erblicken.

Indigniert reagierten auch der ärztliche und der Verwaltungsleiter in einer Stellungnahme: Sie verwiesen - um ihr Image besorgt - auf die „hohe Akzeptanz des Hauses“, das von den Patienten und Mitarbeitern „positiv angenommen worden“ sei.

„Inwieweit der geäußerte Wunsch, die kritischen Notizen des Chefarztes wenn überhaupt, dann aber erst zu einem späteren Zeitpunkt zu veröffentlichen, mit der Tatsache in Zusammenhang zu bringen ist, daß die Investitionsentscheidung des Senats von Berlin über weitere 90 Millionen für die Sanierung des angrenzenden alten Krankenhauses kurz bevorsteht, mögen andere beurteilen“, heißt es erhellend in der „Bauwelt“.thok