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"Das bin ich meiner Vergangenheit schuldig"

■ Seit zweieinhalb Jahren wird ein 69jähriger Sozialdemokrat, der Anzeige gegen rechte JU-Mitglieder erstattet hat, von den Behörden abgespeist / Das skandalöse Verhalten der Ämter führte nun zu

„Das bin ich meiner Vergangenheit schuldig“

Seit zweieinhalb Jahren wird ein 69jähriger Sozialdemokrat, der Anzeige gegen rechte JU-Mitglieder erstattet hat, von

den Behörden abgespeist / Das skandalöse Verhalten der Ämter führte nun zu einer Kleinen Anfrage im Abgeordnetenhaus

„Das haben wir für unsere Enkelkinder aufgehoben!“ meint Gert Knaust lächelnd und zieht einen kopierten Zeitungsbogen aus einer Schublade hervor. Über den 69jährigen, der mit seiner 72jährigen Frau Gertrud in einem Steglitzer Reihenhaus wohnt, wurde 1936 schon einmal in der 'Danziger Volks-Zeitung‘ berichtet. Der damals 16 Jahre alte Schüler war mit seinen Klassenkameraden von Danzig aus - das zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Deutschen Reich gehörte mit dem Schiff „Preußen“ in Richtung Finnland aufgebrochen. Beim Landgang in Pillau bekam er Ärger mit den Grenzbeamten: Sie nahmen ihm den Paß ab, wollten ihn nicht wieder an Bord des Schiffes lassen, ihn statt dessen „in Gewahrsam“ nehmen und zurück in seine Heimatstadt schicken. Mit Gerts Paß war formal alles in Ordnung, - mit seinem Vater nicht. Der Lehrer Johannes Knaust war der letzte sozialdemokratische Volkstagsabgeordnete im von der NSDAP dominierten Danziger Volkstag. Zu Beginn des Krieges wurde er für sechs Wochen von der Gestapo in Haft genommen, nach dem Hitler-Attentat vom 20. Juli schleppten ihn die Nazis in's KZ Stutthof. „Und das hier“, erzählt Gert Knaust weiter, „ist der andere Artikel.“ Der andere Artikel stand am Freitag, 22. November 1985, im 'Tagesspiegel‘. Dort wurde von einer Fahrt der Berliner „Jungen Union“ nach Frankfurt berichtet, während der die CDU-Nachwuchspolitiker das faschistische „Horst -Wessel-Lied“ gesungen und „Sieg Heil“, „Ausländer raus!“ und „Heil Hitler“ gerufen haben sollen.

Gert Knaust, seit über 30 Jahren in der SPD (seine Frau ist schon 58 Jahre „in der Partei“), schrieb an den „polizeilichen Staatsschutz“ und fügte die Zeitungsnotiz hinzu. „Ich bin der Ansicht, daß sie ohne Auftrag tätig werden müssen, da es sich um ein Offizialdelikt handelt. Sollte jedoch eine Anzeige erforderlich sein, erstatte ich sie hiermit.“ Die Anzeige war erforderlich - der Staatsschutz hatte von sich aus keine Voruntersuchung eingeleitet. Einen knappen Monat später erstattete Gert Knaust eine zweite Anzeige. In den Zeitungen wurde über eine Fahrt der Tempelhofer JU nach Oldenburg berichtet, auf der rechtsradikale Lieder gesungen worden sein sollen.

Seitdem - zweieinhalb Jahre lang - führt Knaust einen anstrengenden, monotonen, aufreibenden Briefwechsel mit den Behörden. Über 50 mal hat er Ermittlungsergebnisse angemahnt, Fragen nach Ergebnissen gestellt, Hinweise auf Zeugenbefragungen gegeben. Genauso oft wurde er abgespeist: „...teile ich ihnen mit, daß die kriminalpolizeilichen Ermittlungen noch andauern ... erhalten Sie später Bescheid ... teile ich Ihnen mit, das ich keinen Anlaß sehe, auf ihre Fragestellungen einzugehen oder Erklärungen abzugeben.“ Knaust präsentierte den Beamten den Text des Liedes, das die jungen Christemokraten auf ihrer Fahrt nach Oldenburg gesungen hatten:

„In Auschwitz ist nichts mehr los/ Die Lager stehen leer/ es gibt keine Folterknechte mehr/ Die Öfen warten still/ bis einer wieder Menschen braten will“. Der Refrain: „Im KZ wars doch so nett!“ Die letzte Strophe: „Die Ausländer müssen weg/ für sie sind sie doch nur der letzte Dreck/ Sie treibn Wehrsport in Ruh/ die Regierung drückt die Augen zu/ Sie haben nichts gelernt, diese Idioten/ nicht mal von Millionen Toten!“

Der Staatsanwalt hält den Text im Gegensatz zu Gert Knaust für „kritisch“ und „ironisch“, der sich „eindeutig von alten und neuen Nazis distanziert“. Er stellte die Ermittlungen ein. Daß Knaust nicht aufhörte, Briefe an die Polizei zu schreiben und das Verfahren „am Laufen zu halten“, verdankt er seiner Frau und Freunden, die ihm rieten, weiterzumachen. „Einmal wollte ich das schon hinschmeißen. Aber das war ich meinem Vater und meiner Vergangenheit schon schuldig, daß ich da nicht aufhöre.“

Im Zusammenhang mit der Fahrt nach Frankfurt wurde mittlerweile gegen drei ehemalige Mitglieder der JU Anklage erhoben. „Da greifen die sich drei Sündenböcke raus“, vermutet Knaust, „aber immerhin ist was passiert!“ Sein Briefwechsel mit den Ämtern sorgte jetzt für eine Reihe kleiner Anfragen im Senat. Der SPD-Abgeordnete Pätzold monierte dort „das unmögliche Behörden-Gehabe“, das „soviel Flurschaden im Umgang mit einem engagierten Bürger angerichtet habe“. Die Antwort des Senators: “...sehe ich zu einer ergänzenden Stellungnahme keinen Anlaß!“

Für Gert Knaust und seine Frau ist die Geschichte noch lange nicht zu Ende. „Als nächstes schreibe ich mal an Diepgen!“ verrät er. Und gegen die Einstellung des „Oldenburger“ Verfahrens hat er schon Beschwerde eingelegt.C.C. Malzahn

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