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Atom-Aufpasser der IAEA stehen im Dunkeln

■ Die UNO-Atomagentur IAEA erreicht selbstgesteckte Kontrollziele nicht - internes Papier enthüllt gravierende Überwachungslücken Ein niederländischer Abgeordneter des Europaparlaments fordert ein E

Atom-Aufpasser der IAEA stehen im Dunkeln

Die UNO-Atomagentur IAEA erreicht selbstgesteckte

Kontrollziele nicht - internes Papier enthüllt gravierende Überwachungslücken

Ein niederländischer Abgeordneter des Europaparlaments

fordert ein Ende der Geheimniskrämerei und veröffentlicht

den geheimen Report

Aus Brüssel Th. Scheuer

Seit dem Hanauer Atom-Skandal werden sie wieder, wie damals nach Tschernobyl, verstärkt herumgereicht: die Experten der internationalen Atomenergie-Behörde (IAEA) in Wien. Sie belagern die Untersuchungsausschüsse, und was sie zu sagen haben, tönt immer gleich: Die IAEA hat alles unter Kontrolle. Mit modernster Technik überwacht sie unter immensem Personal- und Zeitaufwand die internationalen Spaltstoffströme und stellt sicher, daß der Atomwaffensperrvertrag strikt eingehalten wird.

Seit 1977 zieht die IAEA jedes Jahr die Bilanz ihrer rastlosen Überwachungstätigkeit in einem „Safeguards Implementation Report“ (SIR). Im Gegensatz zu den öffentlichen IAEA-Jahresberichten werden diese Reports geheim gehalten und nur in wenigen Exemplaren an die Mitgliedstaaten ausgeliefert. „Wir veröffentlichen ihn nicht, weil 130 Mitgliedstaaten wünschen, daß diese Informationen für sie geschützt bleiben. Dies nicht, weil sie die Information vielleicht in Verlegenheit brächte, sondern weil sie der Meinung sind, daß hier möglicherweise Informationen verlorengehen, so daß sie wirtschaftliche Nachteile im Konkurrenzkampf mit anderen erleiden.“ So begründete Jon Jennekens die Geheimniskrämerei um die heiklen Basisfakten am 3. März 1988 vor dem Bundestagsausschuß in Bonn. Der niederländische Europa -Abgeordnete Bram van der Lek sieht das anders: Er fordert ein Ende der Geheimiskrämerei im atomaren Sektor und legte gestern in Brüssel den geheimen 'SIR'-Report auf den Tisch. Seine deutsche Kollegin Undine von Bloch-Plottnitz forderte daraufhin im Atom-Untersuchungsausschuß des Europaparlaments die erneute Vorladung von bereits vernommenen IAEA- und EURATOM-Funktionären, da deren öffentliche Zeugenaussagen im Widerspruch zu den Darlegungen des SIR stünden. Ein Blick in die 66 Seiten des „Safeguards Implementation Report for 1986“ (der Report für 1987 scheint noch in der Mache zu sein) legt den Schluß nahe, die Wiener Atomiker würden im Falle einer Veröffentlichung tiefe Kratzer im polierten Image der vermeintlich scharfen Atom-Kontrolleure befürchten.

Die technische Zielsetzung der Safeguards-Programme wird definiert als „die rechtzeitige Entdeckung der Abzweigung von signifikanten Mengen Nuklearmaterials.“ In den Schlußfolgerungen des SIR für 1986 heißt es lapidar, „die Organisation (hat) keine Anomalie entdeckt, die auf eine Abzweigung von signifikanten Mengen überwachten Nuklearmaterials schließen lassen würde.“ Das mag ja stimmen, aber damit ist nicht bewiesen, daß es tatsächlich keine Abzweigungen gegeben hat.

Denn: Im SIR '86 stellt die IAEA selbst fest, daß sie ihre Inspektionsziele bei 37 Prozent aller überwachten Anlagen nicht erreichen konnte. In vielen Anlagen waren die „Verifikationsaktivitäten“ der IAEA-Inspektoren dermaßen lückenhaft, „daß das Inspektionsziel“, so der interne Report, „für 1986 nicht einmal als teilweise erreicht beurteilt werden konnte.“

Die Liste der im SIR aufgeführten ursächlichen Probleme für die Kontrolldefizite liest sich streckenweise grotesk: Da wird die „Mitwirkung der Staaten“ angemahnt, um endlich ausreichende Beleuchtung in den Atommeilern sicherzustellen. Denn in sechs Anlagen wurden „unschlüssige Überwachungsergebnisse (...) durch unzulängliche oder unterbrochene Beleuchtung verursacht.“ Im Klartext: Auf den Filmen der automatischen Video-Kameras war nichts zu erkennen. Manchmal machten ganz einfach auch die Kameras schlapp: In immerhin 77 von 134 Leichtwasserreaktoren konnten die installierten IAEA-Kameras „mindestens einmal im Jahr keine schlüssigen Informationen liefern.“

Auch über unwillige Betreiber jammern sich die Wiener Kontrolleure ausgiebig aus: Da konnten plutoniumhaltige MOX -Brennelemente in einem Fall nicht angemessen verifiziert werden, weil der Betreiber sich weigerte, die Brennelemente aus einem Wasserbecken zu heben. Haupthindernis für die Inspektoren sind jedoch fehlende „facility attachments“, also spezielle Kontrollvereinbarungen, deren Abschluß z.B. für Hanau seit Jahren überfällig ist.

Jeglicher IAEA-Kontrolle entzogen sind zivil-militärische Misch-Anlagen in Atomwaffenstaaten. So listet der SIR in Großbritannien ganze drei, für Frankreich gar nur eine Nuklearanlage unter IAEA-Überwachung auf. Das heißt: Fast die gesamte Atom-Industrie dieser beiden EG-Länder operiert im Dunkeln. Für ihre Schwierigkeiten bei der Kontrollausübung in den Nicht-Atomwaffenstaaten gibt die IAEA im SIR zwei besonders drastische anonyme (Namen von Ländern und Firmen werden nicht genannt) Beispiele: Einer dieser beiden Staaten verfügt über „38 Anlagen mit je mehr als einer signifikanten Menge Nuklearmaterial“. Das Inspektionsziel war bereits recht bescheiden angesetzt worden: Der „Grenzwert“ für die Zahl der Anlagen, für die die Inspektionsziele nicht vollständig erreicht wurden, lag bei 19. Tatsächlich erreichte die IAEA ihre Kontrollziele aber nicht einmal in der Hälfte aller Anlagen: „Der Grenzwert wurde überschritten, weil die Ziele in 22 Anlagen nicht ganz erreicht wurden.“ Dann ein Hammer: „Material, das von diesem Staat der IAEA als transportiert gemeldet, dessen Erhalt aber von dem Bestimmungsland nicht bestätigt wurde, ging über eine signifikante Menge hinaus.“ Anders gesagt: Die IAEA-Kontrolleure hatten Spaltstoff aus den Augen verloren! Vielleicht ist das Zeug mittlerweile wieder aufgetaucht, vielleicht auch nicht. Der Abgleich der im Report gegebenen Daten mit den Atomprogrammen der EG-Länder legt den Schluß nahe, daß es sich um die Bundesrepublik handeln muß.

In zwei Anlagen eines anderen, ebenfalls anonymisierten Landes wurde das Inspektionsziel bezüglich „direkt benutzbaren Materials“ (das bedeutet Plutonium oder hochangereichertes Uran in waffenfähiger Form) laut SIR „nicht einmal teilweise“ erreicht. Der Datenabgleich läßt hier den Schluß zu, daß mit dem zweiten anonymen Beispiel -Land Belgien gemeint ist und daß es sich bei den zwei Problem-Anlagen um die Brennelemente-Fabriken der Belgonucleaire in Dessel und Mol bzw. um die dortigen Plutonium-Lager handelt. Dort werden, wie bei ALKEM in Hanau, plutoniumhaltige MOX-Brennelemente hergestellt. Belgonucleaire hatte in seinem Plutoniumbunker jahrelang 600 Kilogramm deutsches Plutonium „zwischengelagert“, als im Bunker der Kollegen in Hanau die genehmigte Lagerkapazität knapp wurde.

Der Schlußsatz der meisten Kapitel im SIR läßt für die Zukunft wenig hoffen. Dort heißt es: „Es ist keine Vorhersage möglich, wann diese Probleme gelöst werden können.“

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