: Die Geschäfte der chilenischen Streitkräfte
D O K U M E N T A T I O N Die Geschäfte der chilenischen Streitkräfte
Von Ivan Badilla
Die chilenische Marine ist in Feststimmung. Gerade hat sie acht neue Maschinen erstanden. Die Maschinen schwimmen allerdings nicht im Wasser, sondern fliegen durch die Luft. Die Nachricht wurde von der „Defense News“ verbreitet und von offiziellen französischen Kreisen bestätigt. Der französische Konzern „Aerospatiale“ und die chilenische Marine haben einen Kaufvertrag über acht Hubschrauber abgeschlossen: vier SA-332 „Super Puma“ und vier „SA-256 F Dauphin 2“.
Wie „La Epoca“ (oppositionelle chilenische Tageszeitung, A.d.R.) Ende letzten Jahres berichtete, war es ein gutes Geschäft: „Die Operation soll - gemäß dem Katalogpreis lediglich 36 Millionen Dollar gekostet haben.“ Aber manchmal ist die Wirklichkeit eben weit von dem, was die Kataloge so schreiben, entfernt. Sicher ist jedenfalls, daß der Kauf der acht Maschinen - Minister Carvajal hat es bestätigt schließlich 217 Millionen Dollar kostete. Immerhin also eine Differenz von 181 Millionen. Es ist zwar noch nicht endgültig bestätigt, aber möglicherweise hat das Geschäft auch den Ankauf von zwei Aufklärungsflugzeugen für den Seebereich des Typs „Falcon“ eingeschlossen. Doch wie technologisch hoch entwickelt diese auch sein mögen, sie können auf keinen Fall die Differenz von 181Millionen Dollar erklären.
Ursprünglich wollte die Marine britische Hubschrauber erwerben. Denn die Schiffe, auf denen sie stationiert werden sollten, sind britischen Fabrikats und ihre Hangare sind für britische Maschinen gebaut. Wenn jemand Schuhgröße 41 hat, kauft er sich eben Schuhe dieser Größe, alles andere wäre nicht nur unbequem, sondern auch dumm. Aber in unserem Fall liegt das Problem woanders. Die englischen Hubschrauber, die genau in die Hangare der englischen Schiffe unserer Marine passen, haben einen Motor nordamerikanischen Fabrikats. Und die Nordamerikaner halten - infolge des Kennedy-Amendments ein totales Waffenembargo gegen Chile aufrecht. Das Embargo schließt auch Waffen ein, die in anderen Ländern hergestellt wurden, insofern einzelne Teile dieser Waffen nordamerikanischen Ursprungs sind. Deshalb impliziert der Ankauf der französischen „Super Puma“ und der „Dauphins“ zusätzlich noch weitere Ausgaben - für den Umbau der Hangare der englischen Schiffe, so daß sie die neue französische Errungenschaft der chilenischen Marine beherbergen können. Ob all diese Extras die „bescheidene“ Differenz zwischen realem Preis und Katalogpreis von 181 Millionen Dollar erklären können, sei zunächst mal dahingestellt.
Die Kriterien, nach denen das Budget für Waffenkäufe auf die einzelnen Teilstreitkräfte aufgeteilt werden, stehen in einem Buch mit sieben Siegeln. Selbst Name und Rang desjenigen, der dafür verantwortlich ist, gilt als „top secret“. Von den 18 Flugzeugen des Typs F-5, die Chile besitzt - und es sind die modernsten Kampfjäger, die es hat, sie wurden in den 50er Jahren entwickelt - sind nach Angaben von Experten nur sechs in flugfähigem Zustand, und von diesen nur zwei kampftüchtig. Dieser Zustand ist zu einem guten Teil dem Embargo des US-Senats geschuldet, das die Lieferung von Ersatzteilen verhindert hat. Aber trotzdem gibt es einen parallelen Markt, einen Schwarzmarkt, auf dem man Waffen und Ersatzteile für Kriegsmaterial erstehen kann. Doch die Preise und Risiken auf diesen alternativen Märkten sind viel höher.
Neben dem Schwarzmarkt gibt es noch weitere Möglichkeiten, die Gesetzesklippen und internationalen Restriktionen zu umgehen, zum Beispiel der Dreieckshandel. So erhält Chile seit einigen Jahren einen Großteil seiner Waffenausrüstung über die Vermittlung Israels. Es kann sich dabei um Waffen handeln, die mit Lizenz in Israel hergestellt werden, oder um Waffen, die andere Länder direkt Israel überlassen haben. Im allgemeinen ist das Kriegsmaterial, das über einen Dreieckshandel erworben wird, im Ursprungsland selbst nicht mehr in Gebrauch oder zumindest nicht mehr auf dem neuesten technischen Niveau. Südafrika, das wegen seiner rassistischen Politik fast weltweit boykottiert wird, benutzt Chile als Mittlerland, um sein Kriegsmaterial zu verkaufen. Zu diesem Zweck wendet es sich sowohl an private wie staatliche Stellen. So handelt etwa Cardoen (chilenischer Waffenhändler, A.d.R.) nicht nur mit Kiwis, mit gepanzerten Fahrzeugen, mit Splitterbomben und vielen anderen Gütern, sondern auch mit Bombenzündern, die in Südafrika hergestellt werden. Geschäft ist Geschäft.
1981 kaufte Chile von Israel zwischen 150 und 200 überholte Panzer vom Typ M4A3 Sherman. Sie stammten aus dem Zweiten Weltkrieg. Die USA hatten sie Israel überlassen, und dieses benutzte sie im Siebentagekrieg 1967 und im Krieg von 1973. Mehr als 70 Prozent dieser Panzer, die in diesen beiden Kriegen eingesetzt wurden, blieben bei der Fahrt durch die Wüste des Nahen Ostens wegen Überhitzung des Motors liegen. Zwar hat man diese Panzer, bevor sie nun in chilenische Hände übergingen, etwas umgebaut und neue Motoren und ein neues 105-Millimeter-Rohr eingebaut, aber im allgemeinen sind es weiterhin alte Vehikel. Ihre Panzerung ist veraltet, die optische Apparatur läßt zu wünschen übrig, und vor allem sind sie extrem langsam. Auf Asphalt erreichen sie gerade eine Höchstgeschwindigkeit von knapp 40 Stundenkilometern.
Etwa die Hälfte dieser Sherman-Panzer befindet sich in Peldehue und in Zentralchile. Wenn man bedenkt, daß sie für Kämpfe in den Anden nicht in Betracht kommen und daß ihre Verlegung an die Nordgrenze, wenn sie Tag und Nacht unterwegs sind, bestenfalls drei Tage dauert, fragt sich, welche strategische Funktion denn diesen Sherman-Panzern zukommen soll. Die Spezialisten sind sich einig, daß diese Fahrzeuge bei einem möglichen Konflikt mit dem Ausland ineffizient sind, aber fürchterlich effizient bei der Kontrolle innerer Unruhen wären...
Aufgrund dieses (hier gekürzten) Artikels, der unter dem Titel „El negocio de las FFAA“ („Das Geschäft der Streitkräfte“) in der chilenischen Zeitschrift „Analisis“ (18.-24. April 1988) erschien, läuft gegen den Autor Ivan Badilla wie auch gegen Chefredakteur Juan Pablo Cardenas vor der Marinejustiz von Valparaiso ein Prozeß wegen angeblicher Beleidigung der Streitkräfte
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen