: Unberechenbar
■ Warum schlägt die Nordsee gerade jetzt zurück?
K O M M E N T A R Unberechenbar
Warum schlägt die Nordsee gerade jetzt zurück?
Die Robben der Nordsee sterben an einem Herpes-Virus, die Fische verenden an durch giftige Algen verschleimten Kiemen. Die Nordsee ist vom Umkippen bedroht. Schlimmer noch als Tschernobyl sei diese Naturkatastrophe, sagen norwegische Forscher. Und staunen. Denn Robben-Tod und Algen-Pest lassen sich nicht erklären. Ratlos haben sich Wissenschaftler und Forscher auf den Posten des Beobachters zurückgezogen. Mit Fluzeugen schweben sie über dem Algenteppich, sie messen seine Geschwindigkeit, seine Größe, hoffen auf eine Änderung des Wetters und der Windrichtung und spekulieren über mono und multikausale Erklärungsmodelle. Tun können sie nichts. Erklären auch nicht.
Die Natur läßt sich nicht berechnen. Diese Banalität ist anscheinend schwer zu begreifen und noch schwerer zu akzeptieren. Warum schlägt gerade jetzt die Nordsee zurück, nach jahrzehntelang ansteigender Verschmutzung mit Düngemitteln, Dünnsäure und anderen Chemikalien? Bisher hat sie alles geschluckt. Wäre ein Giftmüllunfall passiert, dann könnten wir wenigstens alles begreifen. Und wären erleichtert.
Die Natur hat Charakter. Unberechenbar reagiert sie in „unangemessener“ Form. Sie straft Messungen, Analysen und Berechnungen Lügen, denn sie gehorcht nicht den Gesetzen der Logik und Linearität. Auch das weiß mittlerweile jedes Kind. Die tiefe Beunruhigung, die die Unmöglichkeit einer hinreichenden Erklärung auslöst, reicht allerdings immer noch nicht aus, so viel Respekt vor dem Lebendigen zu entwickeln, daß wenigstens mitten in der Katastrophe die Giftkübel nicht ausgeleert würden.Martina Kirfel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
