Vermarktete Ersatzjustiz

■ Zum britischen Fernsehgericht über Waldheim

Vermarktete Ersatzjustiz

Zum britischen Fernsehgericht über Waldheim

Was bisher weder eine nationale noch internationale Instanz geschafft hat, ist jetzt Medienrealiät geworden: Waldheim wurde vor ein britisches TV-Gericht zitiert. Mit einem Aufwand, der um ein Vielfaches den der internationalen Historikerkommission übersteigt, haben 25 Experten in 18 Ländern recherchiert. Das Ergebnis: Wenig glaubwürdige Zeugen und keine entscheidenden neuen Dokumente.

Kommerz statt Justiz: Mangelnde Auseinandersetzung, Verdrängung und Hilflosigkeit angesichts des schamlosen Durchhaltevermögens eines Staatspräsidenten, der jedes neue Verdachtsmoment - ob es um Beihilfe zu Deportation oder um Mord geht - aussitzt, haben die Causa Waldheim zu einem Medienrenner werden lassen. Der mit Recht empörte Zuschauer kann endlich seinem Bedürfnis nach Aufklärung und Gerechtigkeit frönen. Er wird dennoch enttäuscht. Denn so fair und wissenschaftlich genau die britischen Journalisten auch vorgegangen sein mögen, das TV-Gericht hat einen schalen Beigeschmack.

Die richtige Causa wird am falschen Ort ausgetragen. Das Fernseh-Gericht ist nur ein Substitut für eine bitter notwendige Fortsetzung der politischen Auseinandersetzung in Österreich, aus der Waldheim schon längst Konsequenzen hätte ziehen müssen. - Es ist der falsche Ort. Und bei genauerem Hinsehen auch die falsche Causa. Die Fragestellung der TV -Kommission, ob Waldheim an „kriegsverbrecherischen“ Handlungen beteiligt war, erscheint wie eine unbewußte Ablenkung von der eigentlichen Frage, der nach der Verantwortung: Sie ginge freilich weit über das Einzelphänomen Waldheim hinaus. Eine Frage übrigens, die sich im Fall Waldheim fast schon von selbst beantwortet. Die hektische Suche nach den angeblichen „Schlüsseldokumenten“ entpuppt sich als Beitrag zur Uneigentlichkeit der Diskussion. Denn die vorhandenen Dokumente reichen längst aus, um die Verantwortung eines Ordonnanz-Offiziers zu belegen, dessen Stabsabteilung Deportationen und Massenerschießungen anordnete. Statt dessen wird weiter nach seiner Unterschrift unter einem Erschießungsbefehl gesucht.

Es ist bekannt, daß in den USA und in Jugoslawien die wichtigsten Waldheim-Akten weiter unter Verschluß gehalten werden. In Österreich haben kürzlich 1.OOO BürgerInnen eine Strafanzeige gegen Kurt Waldheim wegen Verdacht auf Beihilfe zum Mord gestellt. Nach österreichischem Gesetz wäre die Staatsanwaltschaft verpflichtet, zu ermitteln und die Berechtigung des Verdachts zu prüfen. Statt dessen wanderte die Strafanzeige in den Papierkorb. Die TV-vermarktete Ersatzjustiz ist daher doch noch zu etwas gut: sie zeigt, daß reale Justiz verhindert wird.Martina Kirfel