: Überdruß im Überfluß
■ Die Grüne Schußfahrt hat begonnen
K O M M E N T A R E Überdruß im Überfluß
Die Grüne Schußfahrt hat begonnen
Der derzeitige Streit der Grünen um die Formulierung eines Vergewaltigungsparagraphen fällt an sich, gemessen an Grünen Gepflogenheiten, nicht aus der Rolle. Auseinandersetzungen waren immer da am heftigsten, wo außer dem Erhalt Grüner Jungfräulichkeit kein Lorbeer winkte. Wer in CDU, SPD und FDP schert sich schon um Grüne Gesetzentwürfe? Die haßerfüllte Heftigkeit aber, mit der diesmal geclincht wird, zeigt eine neue Dimension. Uneingestandenermaßen scheint realpolitischen Parvenüs ebenso wie fundamentalistischen Betonköpfen klar zu sein, daß sie allesamt schon jetzt Verlierer sind. Der Streit geht also nur noch darum, wer den Platz des Kapitäns auf dem sinkenden Schiff einnehmen darf.
Die vielbeschworene Grüne Basis war seit Gründung der Partei nie bereit, ihr selbstgestricktes Schneckenhaus zu verlassen. Schon wer sich in der ersten Garde im Bundestag hervortat, wurde ins Glied zurückgepfiffen. Maßstab war nicht öffentlicher Erfolg und Aufmerksamkeit, sondern der minimale Konsens im kollektiven Mief. Wähler, die geglaubt hatten, die Grünen seien in der Lage, idealistische Utopien und reale Machtpolitik parallel zueinander zu entwickeln, sahen sich schnell getäuscht. Bedingung für ein Mandat war das Fahrradfahren und die Bestätigung schlichtester Grüner Dogmen und Selbstgefälligkeiten.
Doch die Zeiten haben sich gewandelt, Perestroika allenthalben. Grüne Themen und Mythen, die vor sieben, acht Jahren noch die Öffentlichkeit erstaunten und Traditionsparteien in Harnisch brachten, sind längst gepflegter Bestandteil offizieller Politik. Der schnell nachgeschobene Mythos einer neuen politischen Kultur blieb ein blasser Bluff. Für Erstwähler sind die Grünen ohnehin eine Partei wie jede andere auch.
Wenn jetzt Bonner Fundamentalisten ihre Dogmen noch einmal fester klopfen und andere vom Grünen Kapitalismus träumen, dann offenbart das nur die erbitterte Verweigerung vor der kurzen Geschichte der eigenen Partei und die Hoffnung, aus dem Selbstbetrug noch Kapital zu schlagen. Und die eigene Basis ist dabei nicht einmal aufgewacht, sondern vollends eingeschlafen. Interessant ist das Grüne Untergangsspektakel ja bestenfalls noch für die Medien. Politisch Intelektuelle haben sich eh, und nicht erst seit dem peinlichen Streit um die Böll-Stiftung, mit Grausen abgewandt. Und selbst die Sonnenblumen lassen längst die Köpfchen hängen. Politische Rationalität, Dialogfähigkeit, linke Opposition, aktiver Widerstand - ach was red‘ ich, die waren ja immer lange vor dem Untergang politischer Sekten gefragt! Zu befürchten bleibt, daß die öGünen niemanden mehr in Schwierigkeiten bringen, nicht einmal ihre Wähler. Dietrich Willier
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