: Pfuelstraße 5: Allein gegen den Miethai
■ Knapp an der Zwangsräumung vorbei segelten die Besetzer einer Etage in dem ehemaligen Kornspeicher in der Pfuelstraße 5 in Kreuzberg / Baustadtrat Orlowsky vermittelte zwischen den Besetzern und der
Pfuelstraße 5: Allein gegen den Miethai
Knapp an der Zwangsräumung vorbei segelten die Besetzer
einer Etage in dem ehemaligen Kornspeicher in der
Pfuelstraße 5 in Kreuzberg / Baustadtrat Orlowsky
vermittelte zwischen den Besetzern und der Kuthe GmbH /
Gewerbemietverträge knebeln die Bewohner
Mit Megaphon und Transparenten besetzten die Bewohner der Pfuelstraße 5 in Kreuzberg gestern vormittag das Amtszimmer des Baustadtrates Orlowsky. Die Besitzerin der Pfuelstraße, die Spandauer Baufirma Kuthe GmbH, hatte am Mittwoch vor dem Amtsgericht Kreuzberg eine Räumungsklage gegen die Bewohner der besetzten Etage des Hauses durchgesetzt. Dies war nur der vorläufige Höhepunkt des Versuchs der Besitzer, die Pfuelstraßen-Bewohner zu vertreiben.
Da Orlowsky ein „herausragender Akteur... zur Zerschlagung von nicht integrierbarem Widerstand“ sei und entsprechend „Einfluß und Macht“ habe, wähnte man sich an der richtigen Adresse, die Räumung zu verhindern. Während eine Abordnung aus der Pfuelstraße ihre Unterstützer auf der Straße aus dem achten Stock per Megaphon auf dem Laufenden hielt, griff Orlowsky zum Telefon und vereinbarte nach langem Hin und Her einen Gütetermin zwischen Kuthe-Geschäftsführer Dr. Freymuth und dreien der Mieter heute um 15 Uhr bei der Firma in Spandau. Bis Ende nächster Woche, gestand Kuthe ein, werde der sofort vollstreckbare Räumungstitel nicht vollzogen. Mehr könne er nicht tun, erklärte Orlowsky den sichtlich enttäuschten und empörten Besetzern, die sich nicht von ihrem Glauben abbringen ließen, vom Kreuzberger Bauamt aus werde Berlin regiert.
Die Kuthe GmbH hatte 1982 den ehemaligen Getreidespeicher direkt an der Spree für einen Spottpreis von nur - so schätzen Insider - 600.000 Mark gekauft. Kaspar-Dietrich Freymuth, Prokurist der Firma, lockten nicht nur die monatlichen Mieteinnahmen von ca. 100.000 Mark, sondern die Verwirklichung „meines Hobbys“. Er fördere, wie er sich ausdrückte, ein „einzigartiges Selbsthilfeprojekt von Künstlern und Gewerbetreibenden“. Ganz nebenbei wollte er „das Niveau“ im Kiez „ein bißchen verbessern“.
Neben Galerien und Kleinhändlern bissen auch viele Ex -Besetzer in den sauren Apfel der Gewerbemietverträge, deren Bestimmungen ihresgleichen suchen: Die Mieter verpflichten sich, in die völlig verrottenen Lagerräume auf eigene Kosten Heizungen einzubauen, für Strom-, Wasser- und Gasanschluß zu sorgen, alle Wartungs- und Reparaturkosten des Grundstücks zu übernehmen und die gesamten Einbauten durchschnittlicher Wert pro Etage: 40.000 Mark - beim Auszug dem Vermieter zu überlassen. Die Kuthe GmbH wies darauf hin, daß sie „keine Gewähr für Benutzbarkeit oder Vorhandensein von Kaminen“ übernähme und behielt sich vor, bei Ende des Mietverhältnisses - für die meisten Parteien 1992 - von den Mietern „den ursprünglichen Zustand handwerksgerecht“ wiederherstellen zu lassen - wie auch immer man sich das nach dem jahrelangen Leerstand der Räume vorstellen mag. Daß die Ex-Besetzer diesen Knebelvertrag damals unterschrieben, brachte ihnen manche Kritik anderer Besetzer ein. Man hätte das Haus auch zu besseren Bedingungen haben können, glaubten viele.
Die Bewohner der Pfuelstraße griffen Ende '87 zur Selbsthilfe. Sie organisierten trotz Verbots ein Hausfest, hängten Transparente aus den Fenstern und informierten die Presse. Die Bewohner einer im November gekündigten Etage besetzten schließlich ihre Wohnung. Nachdem Kuthe erst erfolgreich auf Räumung klagte, ist er seit gestern zu Verhandlungen bereit. Oliver Freymuth, der Sohn des Firmen -Chefs, sagte vor Mietern offen, bei der ausgesprochenen Kündigung gehe es nicht um Geld, sondern darum, „Unruhestifter“ zu vertreiben. Auch andere Mieter von Kuthe -Häusern machten schlechte Erfahrungen. Ein Mieter der Glogauer Straße 5 hatte wegen verrotteter Fenster die Miete gemindert. Die Kuthe GmbH behauptete schriftlich, sie habe die Fenster erneuern lassen. Der Betroffene dagegen: „Frei erfunden. Einen Handwerker habe ich nie gesehen.“ Auch in der Backsteinfabrik in der Waldemarstraße 33-37 hat die Kuthe GmbH einen Fuß in der Tür. Pläne, den Komplex für Vollgewerbe auszubauen, einen Seitenflügel abzureißen, den Hausgarten zugunsten eines LKW-Wendekreises einzuebnen und direkt am Kinderbauernhof eine LKW-Zufahrt anzulegen, sind den Mietern schon seit einiger Zeit bekannt geworden. Noch gehören die Häuser der Gewerbesiedlungsgesellschaft GSG. Ist die Sanierung abgeschlossen, wird privatisiert.
Am Kauf interessiert sein dürften Firmen, die dort bereits ansässig sind wie eine Bauschlosserei. Besitzer laut Firmenschild: Schlossermeister Erich Siebert. Firmenkapital 1976: 20.000 Mark, zu wenig für größere Immobilien -Transaktionen. 1981 wurde auf 50.000 Mark aufgestockt, die Einlagen der Kommandantisten gingen auf die Arnold Kuthe GmbH über. Alleiniger Geschäftsführer der „Bauschlosserei“ seit 1981: Kaspar-Dietrich Freymuth.Burkhard Schröder
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