TÜV verteidigt Schrott-Reaktor

■ Streitgespräch zwischen Abschaltbefürwortern und Weitermach-Experten im niedersächsischen Landtag bestätigt Gefährlichkeit des AKW / Bruch in der Frischdampfzuleitung kann unübersehbare Folgen haben

TÜV verteidigt Schrott-Reaktor

Streitgespräch zwischen Abschaltbefürwortern und Weitermach -Experten im niedersächsischen Landtag bestätigt

Gefährlichkeit des AKW / Bruch in der Frischdampfzuleitung kann unübersehbare Folgen haben

Aus Hannover Reiner Scholz

Der Schrott-Reaktor in Stade weist an zentralen Punkten gravierende Sicherheitsmängel auf. Risikobereiche sind die Frischdampfzuleitung und Risse am Reaktorbehälter. Zum Sicherheitszustand des Akw führte die Umweltschutzgruppe Robin Wood am Mittwoch in Hannover ein „Streitgespräch zwischen TÜV-Gutachtern und Kritischen Wissenschaftlern“.

Anders als die neueren Reaktoren, darauf wies Ilse Albrecht von der „Gruppe Ökologie Hannover“ (GÖK) hin, verfüge das AKW Stade beim Zuleitungsbruch in der Frischdampfzuleitung über keinerlei „Schnellschlußarmaturen“. Bei einem Bruch zwischen Betonhülle und Reaktorsicherheitsbehälter käme es somit zu keiner Druckentlassung. Im übrigen könne Radioaktivität über die Leitungen nach draußen gelangen und durch platzende Heizungsrohre im weit verzweigten System freiwerden.

Ministerialrat Sieber aus der Genehmigungsabteilung des niedersächsischen Umweltministeriums bestätigte, daß ein Bruch an „dieser Stelle unübersehbare Folgen haben kann“. Auch aus diesem Grund soll der Reaktor in den nächsten Jahren modernisiert werden - allerdings bei laufendem Betrieb. Für diesen Zeitraum (drei bis vier Jahre) hat sich die niedersächsische Regierung vom TÜV-Norddeutschland eine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen lassen. Die nach dem Tschernobyl-Unfall in Auftrag gegebene und im September 1987 vom TÜV vorgelegte „Sicherheitsstudie“ kommt zu dem Schluß: Es gibt genügend Systemtechnik, um einen solchen Fall zu beherrschen. Während die norddeutsche TÜV-Riege ihre generalisierenden und einseitigen Meßansätze verteidigte, wies die Physikerin Ilse Tweer (GÖK) auf etliche Unzulänglichkeiten beim Reaktorbehälter hin: Risse würden erst ab einer bestimmten Tiefe gemessen, Rißfelder blieben unentdeckt. Zudem bezweifelte Ilse Tweer die Aussagekraft der angewendeten „Voreilproben“. Untersuchungen des Reaktorbehälters im AKW Grundremmingen hätten ergeben, daß bestimmte Risse in der Realität viel gravierender waren, als sie nach diesem Verfahren hätten vorkommen dürfen. Antwort des TÜV: Bei diesen Untersuchungen handele es sich lediglich (!) um eine Forschungsstudie, die noch nicht abgeschlossen sei. Offensichtlich aber waren die vorgelegten Ergebnisse derart brisant, daß sich Ministerialrat Majewski, wie er vorgestern zugab, gleich nach Bekanntwerden aufgeregt an das Bundesumweltministerium wandte. Anwort: Unbedenklich. Wenn auch der TÜV beim Hearing streckenweise in Beweisnot geriet, wenn auch die Landesregierung die Umrüstung des offensichtlich auch von ihr nicht als supersicher angesehenen AKW-Stade angeordnet hat, das Werk arbeitet weiter. Immer noch halten Betreiber, TÜV und niedersächsische Umweltbehörde wichtige Untersuchungsergebnisse wie Revisionsbericht und die (lebenswichtigen) Daten über Ultraschallmeßungen und „Voreilproben“ vor der Öffentlichkeit geheim.