: Würste brachten Korruption ans Licht
■ Korruptionsskandal vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß in Bremen / Sozialdemokraten müssen sich für Mißwirtschaft in Krankenhaus verantworten
Würste brachten Korruption ans Licht
Korruptionsskandal vor einem parlamentarischen
Untersuchungsausschuß in Bremen / Sozialdemokraten müssen
sich für Mißwirtschaft in Krankenhaus verantworten
Bremen (taz) - Was vor 14 Tagen mit der Aufklärung von ein paar verschwundenen Mettwürsten aus dem Proviantlager von Bremens größtem Krankenhaus begann, läßt inzwischen die Posten hochkarätiger Sozialdemokraten in Bremer Senat und SPD-Landesorganisation bedenklich wackeln.
Die Journalistinnen, die seit nunmehr zwei Wochen ihre Tage in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß der Bremer Bürgerschaft verbringen, sind wahrlich nicht um ihre Arbeit zu beneiden: Wann immer sie sich zurückziehen, um die neuesten Meldungen über den größten Korruptionsskandal Bremens zu Papier zu bringen, hat sie der Gang der Ereignisse längst wieder überholt.
Derzeit schließen sie bereits Wetten ab, ob Bremens stellvertretender Bürgermeister und Sozialsenator Henning Scherf nächstens seinen Hut nehmen darf oder der heutige SPD -Landesvorsitzende Herbert Brückner die politische Verantwortung für das „Krankenhaus St.-Jürgen-Straße“ übernehmen muß, in dem über Jahre Millionenaufträge per Handschlag und vermutlich gegen saftige Schmiergeldzahlungen vergeben wurden.
Zwölf Jahre lang war Brückner Gesundheitssenator in Bremen. Ende 1986 übernahm Scherf kommissarisch für ein Jahr das Amt. Beide beteuern, von den im Rahmen der parlamentarischen Untersuchungen aufgedeckten und in der Presse seit Monaten vermuteten Bestechungsskandalen nichts gewußt zu haben. Es kann ihnen jedoch nicht entgangen sein, daß die Direktion der Klinik mit mehr als 2.000 MitarbeiterInnen jahrelang zweistellige Millionen-Defizite erwirtschaftete.
„Bermuda-Dreieck“ lautete seit Anfang der 80er Jahre der behördeninterne Jargon für die Klinik: Unter merkwürdigen Umständen verschwanden Akten und Geld. Für die Aufsichts -Behörde waren Investitions-und Personalpläne unzugänglich. Daß der Verwaltungsdirektor der Klinik, Aribert Galler, „nebenamtlich“ und gemeinsam mit Ehefrau, Verwandten und Bekannten ein dichtes Netz von Briefkastenfirmen betrieb, die als „Schmiergeld-Waschanlagen“ für seine unorthodox vergebenen Klinik-Aufträge funktionierten, hätte zumindest der ehemalige Gesundheitssenator Brückner erfahren können, wenn er Hinweisen einzelner Klinikmitarbeiter rechtzeitig nachgegangen wäre. Statt dessen betraute Brückner den beschuldigten Verwaltungsdirektor mit der Aufklärung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe.
In einem von der taz-Bremen dokumentierten Briefwechsel aus dem Jahr 1983 zwischen Brückner und einem Mitarbeiter in der Einkaufsabteilung des Krankenhauses verweist Brückner trotz mehrfacher Bitten um ein persönliches Klärungsgespräch auf den Dienstweg, das heißt, den schwer belasteten Verwaltungsdirektor.
Seit Anfang dieses Jahres bezieht der ehemalige Klinik-Chef die Ruhestandsbezüge eines vorzeitig pensionierten „leitenden Regierungsdirektors“. Kurz vor Ablauf seiner kommissarischen Verwaltung des Gesundheitsressorts schickte Brückners Nachfolger, Scherf, den 43jährigen Beamten im Dezember in Pension: Eine amtsärztliche Untersuchung hielt Scherf dabei offensichtlich ebensowenig für notwendig wie eine offizielle Information des Krankenhausausschusses der Bremer Bürgerschaft vor der Ablösung des Verwaltungs-Chefs. Statt dessen verpflichtete sich Scherf vertraglich, dem ausscheidenden Klinik-Direktor nach besten persönlichen Kräften Starthilfe für eine neue, private Existenz zu leisten. Daß Scherf selbst vor zwiespältigen Methoden zurückschreckte, um den Verwaltungs-Chef loszuwerden, könnte von Öffentlichkeit und Partei allerdings auch durchaus positiv vermerkt werden: Immerhin - so eine Interpretation der mysteriösen Umstände des Direktionswechsels - legte er damit den Grundstein für einen jetzt allseits beschworenen Neuanfang in Bremens größtem Krankenhaus.
Am Montag wird der stellvertretende Bürgermeister persönlich zur Aufhellung dieser Fragen beitragen dürfen. Am letzten Sitzungstag des Untersuchungsausschusses vor der parlamentarischen Sommerpause ist Scherf geladen. Mit seinem Ex-Kollegen, dem Zeugen Brückner, wollen sich die neun untersuchenden Abgeordneten aller Fraktionen erst nach ihrem Urlaub unterhalten.Klaus Schloesser
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