: Der "Triumph der Faust" schien damals undenkbar
■ Im Rahmen der 2. Jüdischen Kulturtage sprach der 88jährige Publizist und Fotograf Walter Zadek über seine Erinnerungen an das intellektuelle Berlin der zwanziger Jahre / Zadek, der 1933 nach
Der „Triumph der Faust“ schien damals undenkbar
Im Rahmen der 2. Jüdischen Kulturtage sprach der 88jährige Publizist und Fotograf Walter Zadek über seine Erinnerungen an das intellektuelle Berlin der zwanziger Jahre / Zadek,
der 1933 nach Palästina emigrierte, attestiert seinen
intellektuellen Zeitgenossen rückblickend „geistige Inzucht“ und „Weltfremdheit“
„Geistige Inzucht“ und „Weltfremdheit“ bescheinigte Walter Zadek den Berliner Intellektuellen der zwanziger Jahre am Montag auf einer Veranstaltung der 2. Jüdischen Kulturtage in Berlin. „Wir ahnten ja nicht“, so der heute 88jährige, in Berlin geborene Buchhändler, Publizist und Fotograf, „daß unsere Schriften wenig später auf dem Scheiterhaufen barbarischer Schwachköpfe landen würden.“ Die Erinnerungen Walter Zadeks, der seit 1933 in Palästina bzw. Israel lebt, an „das intellektuelle Berlin der zwanziger Jahre“ lesen sich wie ein „Who is Who“ jener Zeit.
Im Rahmen seiner Tätigkeit als verantwortlicher Redakteur der ersten sechs Nummern des vom Ullstein-Verlag herausgegebenen Magazins 'Uhu‘ arbeitete er zeitweise unter der Regie von Kurt Tucholsky, „dem kleinen, dicken Männchen, mit so einem empfindlichen Mäulchen“. Später, als Redakteur der „Beiblätter“ des 'Berliner Tageblatt‘, die sich mit kultur- und sozialpolitischen sowie avantgardistischen Themen beschäftigen, konnte Zadek Albert Einstein für einen Beitrag seiner „Humorseite“ gewinnen. „Alle, die damals einen Namen bekamen, Piscador, Kurt Weill, Feuchtwanger, Toller usw.“, versuchte er für sein „Beiblatt“ zu gewinnen, in dem „komplizierte Neuerungen für den normalen Zeitungsleser verständlich dargestellt wurden“.
Zadek lebte damals, wie viele seiner intellektuellen Zeitgenossen, in der Künstlerkolonie am Laubenheimer Platz in Wilmersdorf. Alle zwei Wochen fanden in seiner Wohnung sogenannte „Jours“ statt, zu denen sich im Laufe der Zeit alles versammelte, was im „Goldenen Berlin der Zwanziger“ Rang und Namen hatte. „Niemand glaubte damals daran, daß Darauffolgendes würde passieren können“, so erinnert sich Zadek an die „Ahnungslosigkeit der Intellektuellen, die auch in unserer Zeitungswelt herrschte“. (Heute ist das wohl kaum anders, wie unsere Zeitung beweist - d.S.) „Dauerkarten für Kulturveranstaltungen“ und „Freiflüge in alle Welt“ waren Selbstverständlichkeiten. „Der Triumph der Faust war unausdenkbar.“
Als die Berliner Schutzpolizei am 15. März 1933 die Künstlerkolonie „räumte“, verhaftete sie auch Walter Zadek, der mit blutigem Gesicht in einer Massenzelle in Spandau landete (im späteren Heß-Gefängnis), wo er einen Monat verbrachte. Nach seiner Freilassung, die unter anderem auf Intervention von Göring zustande kam, floh Zadek zunächst in die Niederlande. Bevor er wenig später nach Palästina ging, traf er noch Egon Erwin Kisch am „Flüchtlingstisch“ in Paris.
„Wir hatten wie auf einer besonnten, beglückten Insel im Meer gelebt, dessen Wogen immer bedrohlicher wurden, ohne daß wir es bemerkten“, faßt Zadek am Ende seines Vortrages zusammen. „Den jüngeren Zuhörern“ der gut besuchten Veranstaltung riet Zadek aufgrund seiner Erfahrungen, „das, was heute geschieht, kritischer zu beurteilen“.Dorothea Hartz
„Kein Utopia...“ - unter diesem Titel läuft zur Zeit im Jüdischen Gemeindehaus eine Ausstellung mit 185 Fotografien Walter Zadeks. Sie zeigt ein widersprüchliches und vielseitiges Panorama Palästinas in den dreißiger Jahren, als die Zukunft des britischen Völkerbundmandats noch nicht entschieden war. Zadeks Interesse galt dabei nicht der Propagierung zionistischer Ziele, sondern sozialen Aspekten aus dem Aufeinanderprallen der verschiedenen Kulturen von Engländern, Israelis und Arabern. Die Ausstellung ist noch bis zum 30.6. tägl. außer Sa in der Fasanenstr. 79/80 zu sehen.
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