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Justitias Rache an den Vobos

■ Obwohl sie ihre Prozesse gewonnen haben, sollen VolkszählungsgegnerInnen die Verfahrenskosten tragen / Dreistellige Quittung trotz Behördenfehler / Kostenentscheide sollen das Klagen abgewöhnen

Justitias Rache an den Vobos

Obwohl sie ihre Prozesse gewonnen haben, sollen

VolkszählungsgegnerInnen die Verfahrenskosten tragen /

Dreistellige Quittung trotz Behördenfehler /

Kostenentscheide sollen das Klagen abgewöhnen

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Seit mehr als einem Jahr lebte Christine B. schon in Irland, als im Mai letzten Jahres der Volkszähler vor ihrer ehemaligen Wohnungstür in Berlin stand, um sie dem deutschen Volke zuzuzählen. Vergeblich versicherte der Nachmieter, Frau B. weile längst nicht mehr in deutschen Landen und sie dennoch zu registrieren käme einer Verfälschung der Statistik gleich. Einige Zeit später erhielt Christine B. trotzdem einen Aufforderungsbescheid des Volkszählungsamtes mit einer deftigen Zwangsgeldandrohung. über einen Anwalt legte Christine B. Widerspruch gegen die Geldforderung ein und bekam - der amtliche Irrtum war offenkundig - auch recht. Zahlen soll Christine B. jedoch trotzdem, zwar nicht das Zwangsgeld, aber die Verfahrenskosten, entschied jetzt das Berliner Verwaltungsgericht.

Ähnlich ging es Corinna L. Obwohl sie schon längst nicht mehr unter der Adresse gemeldet war, unter der der Zähler sie erfassen wollte, erhielt auch sie einen Heranziehungsbescheid, weil sie den unter der alten Anschrift abgegebenen Bogen nicht zurückgesandt hatte. Auch Corinna L. bekam im Widerspruchsverfahren vom Berliner Verwaltungsgericht bescheinigt, daß sie zu Unrecht von dem Volkszählungsamt zur Kasse gebeten worden war. Doch laut gerichtlicher Kostenentscheidung muß sie nun die gesamten Verfahrens- und Anwaltskosten zahlen. Wie bei Christine B. ist die Begründung für diese ungewöhnliche Kostenentscheidung stereotyp. Die Klägerinnen hätten den Rechtsstreit schuldhaft vom Zaun gebrochen, weil sie vorher nicht alles getan hätten, den Irrtum deutlich zu machen. Zwischen zweihundert und fünfhundert Mark kostet die fälschlicherweise Gezählten nun der Spaß, den die Volkszähler ihnen eingebrockt haben.

Eine dreistellige Quittung dafür, daß sie sich gegen die Oberzähler gewehrt hatte, erhielt auch eine Berliner Zählerin, von der die Behörden ein Bußgeld verlangt hatten. Bei einem Treffen zwangsverpflichteter ZählerInnen des öffentlichen Dienstes sei zum Boykott aufgerufen worden, so hatte offenbar ein mitlauschender Verfassungsspitzel nach oben gemeldet, und sie habe man als „Leiterin“ der Versammlung erkannt. Die Beamtin legte Widerspruch gegen das Bußgeld ein. Doch als ihr Rechtsvertreter dann verlangte, man solle den heimlichen Lauscher der Veranstaltung in den Zeugenstand berufen, wurde es den Behörden zu peinlich. Sie stellten das Bußgeldverfahren ein, und die Sache schien erledigt. Die Klägerin jedoch bekam wenig später vom Verwaltungsgericht die Rechnung serviert. Rund 400 Mark Gerichts- und Anwaltskosten soll sie zahlen.

Die drei Fälle sind beispielhaft für die kleinen Racheakte, mit denen Gerichte derzeit versuchen, KlägerInnen gegen die Volkszählung einen Denkzettel zu verpassen. Mit denKostenentscheidungen lassen sie die ZählungsgegnerInnen spüren, daß Widerstand teuer zu stehen kommt. Die juristische Handhabe bietet den Richtern dabei die Verwaltungsgerichtsordnung, deren §161 die Verteilung der Verfahrenskosten in das „billige Ermessen“ der Richter stellt. Und wo normalerweise die Kosten den Verlierern auferlegt werden, wird für Volkszählungsgegner das „billige Ermessen“ eine teure Sache.

Die kleinen Racheakte an VolkszählungsgegnerInnen finden auf höchster Ebene, beim Bundesverfassungsgericht, ihre Parallelen. Offenbar genervt von den zahlreichen Verfassungsbeschwerden gegen die Volkszählung griffen die obersten Richter der Nation jetzt zu einem äußerst ungewöhnlichen Mittel: Sie stuften die Anrufung des Verfassungsgerichts als Mißbrauch ihrer Arbeitskraft ein und legten den BeschwerdeführerInnen, die ihre Bedenken sehr ausführlich begründet hatten, eine Mißbrauchsgebühr von 100 DM auf.

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