: Europa - naturidentisch im Geschmack
■ Das bisher noch unveröffentlichte "Flair" -Programm der EG-Kommission: Mit Biosensoren und Enzymen sollen einheitliche Geschmacks- und Qualitätskriterien für Nahrungsmittel aufgestellt werden / Wachs
Europa - naturidentisch im Geschmack
Das bisher noch unveröffentlichte „Flair„-Programm der EG
-Kommission: Mit Biosensoren und Enzymen sollen einheitliche Geschmacks- und Qualitätskriterien für Nahrungsmittel
aufgestellt werden / Wachstumsbranche Ernährungsdesign /
Auch Bio-Bauern verlassen sich auf objektivierende Stütze
wissenschaftlicher Analysen
Aus Brüssel Hannes Lorenzen
Europas Verbraucher können sich auf eine schöne neue Geschmackswelt gefaßt machen. Wenn 1992 der Berliner Hausmann im Supermarkt sein Fertiggericht in den Einkaufswagen legt, kann er sicher sein, daß Biosensoren und Enzyme es bereits vorgekostet und auf optimale Konsistenz, Frische und einen ansprechenden Geschmack überprüft haben; und was ihn darüber hinaus beruhigen wird: Zur gleichen Zeit wählen unzählige Hausmänner in ganz Europa die original Valenzianische Paella aus, mit der gleichen „Qualität“ und identischem „Aroma“.
1992 soll der europäische Binnenmarkt Wirklichkeit werden. Bis dahin möchte die EG-Kommission einheitliche Maßstäbe zur Bewertung europäischer Nahrungsmittelqualität in der Hand haben. Wenn durch die offenen Grenzen die dänische rote Grütze ungehindert nach Griechenland fließt und im schottischen Winter die Nachfrage nach portugiesischen Kichererbsen steigt, muß es wissenschaftlich nachprüfbare, objektive Kriterien geben, die es der Verarbeitungsindustrie und dem Endverbraucher erleichtert, die beste Ware auszuwählen.
Bisher hatte die europäische Handelsklassenverordnung Nahrungsmittel nur nach Größe, Aussehen und Gewicht genormt, und den Verbrauchern wurde zugemutet - nach dem Einkauf den Geschmack selbst zu beurteilen. Die Biotechnologie sorgt nun auch in diesem Bereich für Fortschritt: Enzyme und Biosensoren können das Nahrungsmittel bis in kleinste Bestandteile abtasten und in Verbindung mit Datenverarbeitung und herkömmlichen physikalischen und chemischen Analysen regelrechte Geschmackstests durchführen. Wo durch „bio-physikalische Trennungsverfahren“ die Kartoffelpuffer-Fertigmischung ihr Aroma zu drastisch eingebüßt hat, kann bei Bedarf mit Geschmacksverstärkern, wie dem „hochempfindlichen Kohlendioxid“ auch der kritische Feinschmecker wieder zufriedengestellt werden.
Um aus dieser Wundertüte neuer Techniken das Beste herauszufischen, hat die EG-Kommission ein Forschungsförderprogramm entworfen, das sie FLAIR nennt: „Food-linked Agro-Industrial Research“ - nahrungsbezogene agro-industrielle Forschung. Der Lebensmittel-FLAIR ist ein Teilbereich der allgemeinen Biotechnologie-Förderung. Er entspringt der gleichen Forschungslinie wie der größere Bruder ECLAIR, französisch: der Blitz, soll Klarheit darüber bringen, wie Landwirtschaft und Industrie mit Hilfe der Biotechnologie zu einer modernen Agroindustrie zusammengefaßt werden können. Dabei wird besonders Forschung im Nicht-Nahrungsmittelbereich (Biomasse für industrielle Zwecke) gefördert.
Im FLAIR-Programm dagegen sollen Biotechniken entwickelt und angewendet werden, die die Eignung von Nahrungsmitteln für den menschlichen Verzehr bewerten, und die Qualität während der Verarbeitung, Lagerung und Vermarktung kontrollieren.
Tatsächlich fällt es ja ernährungsbewußten Verbrauchern immer schwerer, ihren natürlichen Sinnen zu trauen, wenn sie die Qualität ihrer Lebensmittel beurteilen wollen. Seit Tschernobyl sind viele auf den Strahlenkompaß angewiesen, der ihnen Daten über atomare Becquerels liefert, andere müssen sich auf die künstlichen Sinne von Pestizid- und Schwermetall-Rückstands-Analysen verlassen, um sich eine einigermaßen schadstoffreie Diät zusammenstellen zu können. Aber auch einige Bio-Bauern greifen mit sogenannten Lichtstrahlmessungen (Biophotonen) zur Darstellung von lebenden Zellen in ihren Produkten auf die objektivierende Stütze wissenschaftlicher Analysen zurück, um sich von konventioneller Erzeugung absetzen zu können.
Ist es da nicht nur konsequent, wenn die EG-Kommission auf die Entwicklung objektiver Meßverfahren für Nahrungsmittelqualität drängt? Wenn sich an der Zielsetzung der EG-Kommission, die landwirtschaftliche Produktion in eine Bio-Industrie verwandeln, nichts ändert, werden bald Kühe als Bioreaktoren für Medikamente und Mikroorganismen als Fleischproduzenten fungieren. Dann spätestens sind die im FLAIR-Programm vorgesehenen „umfassenden sensorischen Tests“ nötig, um den Verbrauchern Orientierungshilfen beim Einkauf zu geben.
Folgerichtig sieht das FLAIR-Programm auch eine weitere Auffächerung des Nahrungsangebots nach bestimmten „funktionalen Eigenschaften und Ernährungszielen“ vor: Schonkost für Kinder, Alte und Kranke, kalorienarme Diäten für schlankwerdende Frauen und kalorienverstärkte für muskelbedürftige Athleten. Der Kreativität einer neuen Wachstumsbranche, dem Ernährungs-Design sind keine Grenzen gesetzt.
Nicht nur den Verbrauchern droht vor diesem Szenario eine sprichwörtliche Entmündigung. Auch den bäuerlichen Erzeugern wird die Beurteilung ihrer Arbeit und ihrer Produkte zunehmend aus der Hand genommen. Schon heute wird bei der Bewertung von Fett- und Eiweißanteilen in der Milch mit technischen Grenzwerten jongliert, um im Zusammenhang mit der Milchquote Preisabzüge vornehmen zu können. Auch die Fleischtaxierung auf den Schlachthöfen ist für die Bäuerinnen und Bauern dank neuester Technik kaum noch nachvollziehbar, geschweige denn nachprüfbar.
Technisch wird sich das offensichtliche Problem der Entfremdung zwischen landwirtschaftlichen Erzeugern und Verbrauchern nicht lösen lassen. Was die Qualität der Lebensmittel durch Chemieanwendung oder industrielle Verarbeitung einbüßt, kann ihr durch bio-technische Frische oder Geschmackstests nicht wieder angedichtet werden. Da nicht für alle Verbraucher gegenseitiges Vertrauen und Verbindlichkeit wie zum Beispiel in Erzeuger -Verbrauchergenossenschaften erreichbar ist, bleibt nur die gemeinsame politische Lösung, wie sie in Zusammenschlüssen von Bauern- und Verbraucherorganisationen bereits Ausdruck gefunden hat.Der Autor ist Agrarexperte de
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